Spanischer Bürgerkrieg: Die vergessene Revolution - Zeit - derStandard.at › Wissenschaft
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Bürgerkrieg: Die vergessene Revolution
AnalyseJens Kastner9. Juli 2016, 13:00
116 Postings
Im Juli jährt sich der Beginn des Bürgerkriegs zum 80. Mal. Er gilt als 
Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts
Was haben der Stiller von Max Frisch und Rick, Cafébesitzer aus 
Casablanca, gemeinsam? Sie gehören zu den viel besprochenen fiktionalen 
Figuren, die neben allem anderen auch noch eines waren: sogenannte 
Spanienkämpfer.
Bereits mit seinem Beginn im Juli 1936 gehörte der Spanische Bürgerkrieg
 zu einem wichtigen und aus der europäischen Geistesgeschichte nicht 
mehr wegzudenkenden Gegenstand von Film, Literatur und bildenden 
Künsten. Nicht zuletzt den vielen an Kampfhandlungen beteiligten 
KünstlerInnen und Intellektuellen ist es zu verdanken, dass Motive des 
Bürgerkriegs zu Motivationen künstlerischer Produktion wurden. Von dem 
Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman (1942), der im 
Dienste der US-amerikanischen Anti-Nazi-Propaganda stand, über die 
Identitätsproblematik beim Schweizer Romancier Max Frisch (1954) bis zu 
Pablo Picassos "Guernica" (1937) und Hemingways "Wem die Stunde 
schlägt": Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den 
berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts.
Kein Vergleich dazu: die Soziale Revolution. Sie gehört zu dem, was der 
französische Soziologe "vergessen gemachte Geschichte" genannt hat. Als 
Reaktion auf den Putsch der rechten Generäle brach in weiten Teilen 
Kataloniens und Andalusiens eine libertäre Revolution aus, 
landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und kollektiviert, 
städtische Fabriken von den ArbeiterInnen übernommen und 
gemeinschaftlich geführt. Die schwarz-rote Fahne der 
AnarchosyndikalistInnen prägte das Stadtbild von Barcelona. Zum Abschied
 grüßte man mit "Saludos" ("Grüße") statt mit "Adios", weil man den 
antifaschistischen Kampf auch als einen gegen Gott ("dios") und vor 
allem gegen die katholische Kirche begriff.
Sperrzonen des Erinnerns
Auch über solch revolutionären Alltag ist einiges geschrieben worden: 
Der Augenzeuge George Orwell befand bekanntlich, dass die Menschen in 
den ersten Wochen der Revolution endlich aufgehört hätten, sich wie 
Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu benehmen. Und der Poptheoretiker
 Greil Marcus wertete mehr als fünfzig Jahre später im Rückblick die 
radikalen kulturellen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (wie die 
SituationistInnen) oder auch das Aufkommen von Punk als Effekt der 
uneingelösten Versprechen von Barcelona 1936. Auch wenn in Songs von 
Punk-, Hardcore- oder Pop-Bands wie Crass, The Ex, Sin Dios oder 
Chumbawamba die Spanische Revolution seit den späten 1970er-Jahren immer
 wieder gefeiert wurde, an die Popularität des Bürgerkrieges im 
kollektiven Gedächtnis kommt sie doch nicht annähernd heran. So ergibt 
sich für die Erinnerung an die Revolution das Gleiche, was schon für das
 Verhältnis von Revolution und Krieg galt: Gegen Letzteren hat Erstere 
keine Chance.
Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann bemerken in ihrem Buch über die
 Folgen des Spanischen Bürgerkrieges, dass es wegen der starken 
Orientierung auf einen demokratischen Konsens im postdiktatorischen 
Spanien zu bestimmten "Sperrzonen des Erinnerns" gekommen sei. Als 
Beispiel für solche Sperrzonen nennen sie die Schuldfrage oder die Frage
 der Monarchie.
Die Revolution ist offenbar dermaßen ab- und aus der Erinnerung 
ausgesperrt, dass selbst die beiden Fachhistoriker sie in diesem Kontext
 nicht erwähnen. (Den Verlauf der Revolution hingegen würdigen sie 
kritisch und ausführlich).
Das kollektive Gedächtnis in Spanien hat sich nach Francos Tod (1975) 
hinsichtlich der Jahre 1936-1939 in der Formel der "nationalen Tragödie"
 eingerichtet. In dieser Formel aber – der auch Bernecker und Brinkmann 
zuzustimmen scheinen – findet die Revolution keinen Platz. Die Rede von 
der "nationalen Tragödie" schließt nicht nur Errungenschaften der 
Revolution aus, sondern leugnet auch die internationale Dimension der 
Ereignisse.
Selbst als im Jahr 2011 die soziale Bewegung der Empörten mit dem 
Hashtag #spanishrevolution mobilisierte, war von 1936 nicht die Rede. In
 den Verlautbarungen der Demokratiebewegung standen zwar auch 
Kapitalismus und Repräsentationspolitiken zur Debatte. Bezugnahmen auf 
die libertäre Revolution 75 Jahre zuvor gab es so gut wie gar nicht.
Wenn an revolutionäre Errungenschaften und transnationale Verflechtungen
 in Spanien selbst kaum gedacht wird, dann natürlich noch viel weniger 
im deutschsprachigen Raum. Angesichts weit folgenreicherer 
Interventionen der deutschen Wehrmacht im Anschluss an die Bombardierung
 der baskischen Stadt Guernica (1937) durch die "Legion Condor", nahm 
der Spanische Bürgerkrieg nie eine wichtige Rolle in der 
deutschsprachigen kollektiven Erinnerung ein.
Verlor die nationalsozialistische Beteiligung rückblickend an Gewicht, 
kamen die AkteurInnen der Gegenseite kaum dazu, ihre Sicht der Dinge im 
kollektiven Gedächtnis zu verankern: Viele deutschsprachige 
SpanienkämpferInnen überlebten die nationalsozialistischen 
Konzentrationslager nicht. Die überlebenden KommunistInnen wurden in der
 DDR zwar gefeiert, auch in Österreich wurden ihre Geschichten dank des 
unermüdlichen Engagements einiger ihrer ProtagonistInnen zumindest in 
Kreisen von HistorikerInnen und linken AktivistInnen immer wieder 
erzählt, im westdeutschen Alltag konnten sich Erfahrungen aus Spanien 
mangels ErfahrungsträgerInnen aber nicht etablieren. Etwa 5000 
ÖsterreicherInnen und Deutsche hatten in den Internationalen Brigaden 
gekämpft, um die 15.000 waren als Teil der "Legion Condor" in Spanien.
Das Wissen über den Bürgerkrieg verblieb in Fachkreisen, selbst 
Anspielungen wie die in Casablanca blieben der deutschsprachigen 
Öffentlichkeit oft erspart: Der Film war auf Deutsch bis 1975 nur in 
einer entpolitisierten, zerstückelten und falsch synchronisierten 
Fassung zugänglich: Der Widerstandskämpfer Victor László war bis dahin 
der Atomphysiker Victor Larsen, die Figur des Nazi-Majors Strasser hatte
 man ganz herausgeschnitten.
Die zentrale Frage
Und was die Revolution betrifft, hatte Walter Haubrich sicher auch 1994 
noch recht, als er in der FAZ Abel Paz' große Biografie des Anarchisten 
Buenaventura Durruti eine "spannend zu lesende Einführung in einen in 
Deutschland vielleicht gar nicht so bekannten Bereich der ideologischen 
Diskussion und Geschichte unseres Jahrhunderts" nannte.
Die zentrale Frage, warum die Revolution keinen festen Platz im 
kollektiven Gedächtnis hat und bestenfalls in subkulturellen Formen 
existiert, ist nicht schwer zu beantworten.
Bernecker und Brinkmann stellen fest, dass der Wunsch, eine Neuauflage 
der Konflikte der 1930er-Jahre zu verhindern, in Spanien "beinahe zur 
Obsession" wurde. Ein Gedenken, das an Ereignisse jenseits des 
parlamentarisch-demokratischen Konsenses gemahnte, musste dieser 
Obsession widersprechen. Genau dafür steht aber die von den 
AnarchistInnen getragene Revolution. Schon den AnarchistInnen von 1936, 
obwohl sie mit der CNT die damals mitgliederstärkste Gewerkschaft der 
Welt stellten, waren international isoliert.
Diese Isolierung setzt sich in der Marginalisierung anarchistischer 
Positionen heute fort. Wie die damaligen Errungenschaften müssen aber 
auch die Erinnerungen verteidigt werden. Das kollektive Gedächtnis ist 
ja kein statisches Gebilde, sondern stets in Bewegung und vor allem 
permanent umkämpft. Zur Durchsetzung oder auch nur zur Verteidigung von 
Erinnerung braucht es Subjekte, die für bestimmte Inhalte eintreten und 
gesellschaftliche Bündnisse, die sie mittragen. Eine wirkmächtige 
soziale Bewegung, die das Gedenken an die Spanische Revolution gegenüber
 jenem an den Bürgerkrieg starkmachen könnte, existiert nicht.
Der Anarchismus in Deutschland und Österreich hat als Massenbewegung den
 Nationalsozialismus nicht überlebt. Die libertären Bewegungen der 
Nachkriegszeit waren im deutschsprachigen Raum marginalisiert, nicht nur
 was ihren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis betrifft. (Umso 
wichtiger werden die in Sub-, Nischen oder Avantgardekulturen gelegten 
Spuren, auch wenn sie nach Greil Marcus so wenig beständig sind wie 
"lipstick traces on a cigarette ...") Libertäre Gedanken erlangten erst 
im Kontext der Revolte von 1968 wieder größere Bedeutung.
Dieser Bedeutungsgewinn allerdings ging gerade einher mit der 
allgemeinen Abkehr der Neuen Linken von einem Revolutionsmodell, das 
IndustriearbeiterIn und Bauer/Bäuerin als Subjekte favorisierte. Genau 
diese aber hatten Anarchismus und Revolution in Spanien geprägt und 
getragen. Die Erinnerung an die Spanische Revolution fand also auch in 
den revoltierenden StudentInnen und ArbeiterInnen der 1960er-Jahre keine
 ProtagonistInnen.
Und die SpanienkämpferInnen selber? In der DDR galten sie als 
Helden/Heldinnen und waren für die antifaschistische Staatsdoktrin 
bedeutsam, wichtige Mitglieder des Politbüros (wie etwa Erich Mielke) 
waren Spanienkämpfer. Das für sie errichtete Denkmal in 
Berlin-Friedrichshain (von Fritz Cremer, 1966/68) verschafft wohl kaum 
mehr den Schatten eines Eindrucks davon. Anders als in Westdeutschland 
ist auch in Österreich ihr Schicksal bestens dokumentiert und im 
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) öffentlich 
zugänglich. Geprägt von kommunistischen InterbrigadistInnen, blieb das 
Bild des Bürgerkrieges aber sowohl in der DDR als auch in Österreich 
frei von Erinnerungen an die Revolution. Denn die Internationalen 
Brigaden formierten sich erst ab Ende 1936, als die Revolution bereits 
zurückgedrängt wurde, und sie waren stark kommunistisch geprägt.
Das (Ver)Schweigen brechen
Die KommunistInnen, nicht zu vergessen, verfolgten im Spanischen 
Bürgerkrieg ausdrücklich antirevolutionäre Ziele. Der surrealistische 
Dichter Benjamin Péret, der zeitweise in anarchistischen Milizen 
kämpfte, kritisierte die im Laufe der ersten Kriegsmonate dominanter 
werdenden KommunistInnen schon früh und warnte vor den Stalintreuen.
Im Mai 1937 schossen in Barcelona dann KommunistInnen auf 
AnarchistInnen, mittem im antifaschistischen Kampf gegen die 
Franco-Truppen. Einem deutschsprachigen Publikum, dem in Zeiten des 
Kalten Krieges kaum die historische Tatsache des Bürgerkriegs zugemutet 
wurde, auch noch den linken "Genossenmord" zu erklären, erscheint 
undenkbar.
Verschwiegen wurde also nicht nur die Revolution, sondern auch die 
mörderische Politik der stalinistischen KommunistInnen, der u. a. viele 
AnarchistInnen zum Opfer fielen. Um das (Ver-)Schweigen zu brechen, 
fehlte es eben an sozialen Kräften, die daran ein Interesse hätten haben
 können – auch innerhalb der radikalen Linken.
Als Beitrag im Kampf um die Erinnerung kann diesbezüglich auch das 
Vorwort gelten, das der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1986 für
 das Buch des Spanienkämpfers Fritz Teppich verfasst hatte (und das 1996
 unverändert wiederaufgelegt wurde). Hinsichtlich der Kritik am 
kommunistischen Vorgehen im revolutionären Spanien meint Gremliza, sie 
zielte darauf, "eine real mögliche Befreiung von jener 
Mehrwertegemeinschaft zu verhindern, in deren Dienst der s. g. 
freiheitliche, demokratische oder libertäre Sozialismus steht." Es 
genügt freilich ein Blick auf die historischen Quellen, um zu belegen, 
dass gerade nicht der libertäre Sozialismus, sondern die Politik der 
KommunistInnen explizit antirevolutionär war. Dass kommunistische 
Propagandalügen wie diese vom Herausgeber der größten linken 
Monatszeitung in Deutschland verbreitet werden, macht nur ein weiteres 
Mal die Defensive deutlich, in der anarchistische Geschichtsschreibung 
sich befindet.
Aufgabe für die Forschung
Das kollektive Gedächtnis kommt nicht allein in Filmen oder Büchern zum 
Ausdruck, sondern auch im Alltag. Im Gegensatz zu jenen lässt sich 
dieser aber weder nach BesucherInnenzahlen oder Auflagenstärke abfragen 
und so wie Hans-Magnus Enzensbergers Buch Der kurze Sommer der Anarchie 
(1972) oder der Film Land and Freedom (1995) von Ken Loach als 
vergleichsweise libertäre Erfolge verbuchen. Danach zu suchen wäre 
demnach eine Aufgabe für die Kultur- und Sozialforschung, die auch an 
emanzipatorischen politischen Alternativen interessiert ist. Denn 
letztlich, schrieb schon Maurice Halbwachs 1925 in Das Gedächtnis und 
seine sozialen Bedingungen, gibt es "keine soziale Idee, die nicht 
zugleich eine Erinnerung der Gesellschaft wäre."
Die meisten der von der Historikerin Vera Bianchi beschriebenen, 
alltäglichen Errungenschaften der Mujeres Libres – mit rund 20.000 
Mitgliedern sicherlich eine der größten feministischen Organisationen 
aller Zeiten – fielen wohl der Franco-Diktatur zum Opfer. Dass die erste
 Ministerin auf europäischem Boden seit der Pariser Kommune 1871, mit 
Federica Montseny paradoxerweise ausgerechnet eine Anarchistin, oder die
 erste gesetzliche Legitimierung der Abtreibung (in Katalonien) spätere 
feministische Kämpfe beflügelt haben, ist zwar anzunehmen, lässt sich 
aber kaum belegen.
Anders die Erfolge der revolutionären Alphabetisierungskampagnen: Sie 
wieder rückgängig zu machen hätte selbst – wie der Hispanist Martin 
Baxmeyer betont – die blutigste Diktatur nicht geschafft. Zwar haben es 
die frisch Alphabetisierten im Laufe des Bürgerkriegs zu einer 
historisch einmaligen Versproduktion gebracht. Um in Film und Fernsehen 
repräsentiert zu werden, hat es aber nicht gereicht. Mit solchen Leuten 
hatten Typen wie Stiller oder Rick Blaine wohl auch zu wenig Kontakt, um
 von ihnen zu erzählen. (Jens Kastner, 9.7.2016)
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie
 der bildenden Künste Wien. Er forscht und schreibt. - 
derstandard.at/2000040710416/Spanischer-Buergerkrieg-Die-vergessene-Revolution
 Spanischer 
Bürgerkrieg: Die vergessene Revolution
AnalyseJens Kastner9. Juli 2016, 13:00
116 Postings
Im Juli jährt sich der Beginn des Bürgerkriegs zum 80. Mal. Er gilt als 
Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts
Was haben der Stiller von Max Frisch und Rick, Cafébesitzer aus 
Casablanca, gemeinsam? Sie gehören zu den viel besprochenen fiktionalen 
Figuren, die neben allem anderen auch noch eines waren: sogenannte 
Spanienkämpfer.
Bereits mit seinem Beginn im Juli 1936 gehörte der Spanische Bürgerkrieg
 zu einem wichtigen und aus der europäischen Geistesgeschichte nicht 
mehr wegzudenkenden Gegenstand von Film, Literatur und bildenden 
Künsten. Nicht zuletzt den vielen an Kampfhandlungen beteiligten 
KünstlerInnen und Intellektuellen ist es zu verdanken, dass Motive des 
Bürgerkriegs zu Motivationen künstlerischer Produktion wurden. Von dem 
Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman (1942), der im 
Dienste der US-amerikanischen Anti-Nazi-Propaganda stand, über die 
Identitätsproblematik beim Schweizer Romancier Max Frisch (1954) bis zu 
Pablo Picassos "Guernica" (1937) und Hemingways "Wem die Stunde 
schlägt": Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den 
berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts.
Kein Vergleich dazu: die Soziale Revolution. Sie gehört zu dem, was der 
französische Soziologe "vergessen gemachte Geschichte" genannt hat. Als 
Reaktion auf den Putsch der rechten Generäle brach in weiten Teilen 
Kataloniens und Andalusiens eine libertäre Revolution aus, 
landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und kollektiviert, 
städtische Fabriken von den ArbeiterInnen übernommen und 
gemeinschaftlich geführt. Die schwarz-rote Fahne der 
AnarchosyndikalistInnen prägte das Stadtbild von Barcelona. Zum Abschied
 grüßte man mit "Saludos" ("Grüße") statt mit "Adios", weil man den 
antifaschistischen Kampf auch als einen gegen Gott ("dios") und vor 
allem gegen die katholische Kirche begriff.
Sperrzonen des Erinnerns
Auch über solch revolutionären Alltag ist einiges geschrieben worden: 
Der Augenzeuge George Orwell befand bekanntlich, dass die Menschen in 
den ersten Wochen der Revolution endlich aufgehört hätten, sich wie 
Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu benehmen. Und der Poptheoretiker
 Greil Marcus wertete mehr als fünfzig Jahre später im Rückblick die 
radikalen kulturellen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (wie die 
SituationistInnen) oder auch das Aufkommen von Punk als Effekt der 
uneingelösten Versprechen von Barcelona 1936. Auch wenn in Songs von 
Punk-, Hardcore- oder Pop-Bands wie Crass, The Ex, Sin Dios oder 
Chumbawamba die Spanische Revolution seit den späten 1970er-Jahren immer
 wieder gefeiert wurde, an die Popularität des Bürgerkrieges im 
kollektiven Gedächtnis kommt sie doch nicht annähernd heran. So ergibt 
sich für die Erinnerung an die Revolution das Gleiche, was schon für das
 Verhältnis von Revolution und Krieg galt: Gegen Letzteren hat Erstere 
keine Chance.
Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann bemerken in ihrem Buch über die
 Folgen des Spanischen Bürgerkrieges, dass es wegen der starken 
Orientierung auf einen demokratischen Konsens im postdiktatorischen 
Spanien zu bestimmten "Sperrzonen des Erinnerns" gekommen sei. Als 
Beispiel für solche Sperrzonen nennen sie die Schuldfrage oder die Frage
 der Monarchie.
Die Revolution ist offenbar dermaßen ab- und aus der Erinnerung 
ausgesperrt, dass selbst die beiden Fachhistoriker sie in diesem Kontext
 nicht erwähnen. (Den Verlauf der Revolution hingegen würdigen sie 
kritisch und ausführlich).
Das kollektive Gedächtnis in Spanien hat sich nach Francos Tod (1975) 
hinsichtlich der Jahre 1936-1939 in der Formel der "nationalen Tragödie"
 eingerichtet. In dieser Formel aber – der auch Bernecker und Brinkmann 
zuzustimmen scheinen – findet die Revolution keinen Platz. Die Rede von 
der "nationalen Tragödie" schließt nicht nur Errungenschaften der 
Revolution aus, sondern leugnet auch die internationale Dimension der 
Ereignisse.
Selbst als im Jahr 2011 die soziale Bewegung der Empörten mit dem 
Hashtag #spanishrevolution mobilisierte, war von 1936 nicht die Rede. In
 den Verlautbarungen der Demokratiebewegung standen zwar auch 
Kapitalismus und Repräsentationspolitiken zur Debatte. Bezugnahmen auf 
die libertäre Revolution 75 Jahre zuvor gab es so gut wie gar nicht.
Wenn an revolutionäre Errungenschaften und transnationale Verflechtungen
 in Spanien selbst kaum gedacht wird, dann natürlich noch viel weniger 
im deutschsprachigen Raum. Angesichts weit folgenreicherer 
Interventionen der deutschen Wehrmacht im Anschluss an die Bombardierung
 der baskischen Stadt Guernica (1937) durch die "Legion Condor", nahm 
der Spanische Bürgerkrieg nie eine wichtige Rolle in der 
deutschsprachigen kollektiven Erinnerung ein.
Verlor die nationalsozialistische Beteiligung rückblickend an Gewicht, 
kamen die AkteurInnen der Gegenseite kaum dazu, ihre Sicht der Dinge im 
kollektiven Gedächtnis zu verankern: Viele deutschsprachige 
SpanienkämpferInnen überlebten die nationalsozialistischen 
Konzentrationslager nicht. Die überlebenden KommunistInnen wurden in der
 DDR zwar gefeiert, auch in Österreich wurden ihre Geschichten dank des 
unermüdlichen Engagements einiger ihrer ProtagonistInnen zumindest in 
Kreisen von HistorikerInnen und linken AktivistInnen immer wieder 
erzählt, im westdeutschen Alltag konnten sich Erfahrungen aus Spanien 
mangels ErfahrungsträgerInnen aber nicht etablieren. Etwa 5000 
ÖsterreicherInnen und Deutsche hatten in den Internationalen Brigaden 
gekämpft, um die 15.000 waren als Teil der "Legion Condor" in Spanien.
Das Wissen über den Bürgerkrieg verblieb in Fachkreisen, selbst 
Anspielungen wie die in Casablanca blieben der deutschsprachigen 
Öffentlichkeit oft erspart: Der Film war auf Deutsch bis 1975 nur in 
einer entpolitisierten, zerstückelten und falsch synchronisierten 
Fassung zugänglich: Der Widerstandskämpfer Victor László war bis dahin 
der Atomphysiker Victor Larsen, die Figur des Nazi-Majors Strasser hatte
 man ganz herausgeschnitten.
Die zentrale Frage
Und was die Revolution betrifft, hatte Walter Haubrich sicher auch 1994 
noch recht, als er in der FAZ Abel Paz' große Biografie des Anarchisten 
Buenaventura Durruti eine "spannend zu lesende Einführung in einen in 
Deutschland vielleicht gar nicht so bekannten Bereich der ideologischen 
Diskussion und Geschichte unseres Jahrhunderts" nannte.
Die zentrale Frage, warum die Revolution keinen festen Platz im 
kollektiven Gedächtnis hat und bestenfalls in subkulturellen Formen 
existiert, ist nicht schwer zu beantworten.
Bernecker und Brinkmann stellen fest, dass der Wunsch, eine Neuauflage 
der Konflikte der 1930er-Jahre zu verhindern, in Spanien "beinahe zur 
Obsession" wurde. Ein Gedenken, das an Ereignisse jenseits des 
parlamentarisch-demokratischen Konsenses gemahnte, musste dieser 
Obsession widersprechen. Genau dafür steht aber die von den 
AnarchistInnen getragene Revolution. Schon den AnarchistInnen von 1936, 
obwohl sie mit der CNT die damals mitgliederstärkste Gewerkschaft der 
Welt stellten, waren international isoliert.
Diese Isolierung setzt sich in der Marginalisierung anarchistischer 
Positionen heute fort. Wie die damaligen Errungenschaften müssen aber 
auch die Erinnerungen verteidigt werden. Das kollektive Gedächtnis ist 
ja kein statisches Gebilde, sondern stets in Bewegung und vor allem 
permanent umkämpft. Zur Durchsetzung oder auch nur zur Verteidigung von 
Erinnerung braucht es Subjekte, die für bestimmte Inhalte eintreten und 
gesellschaftliche Bündnisse, die sie mittragen. Eine wirkmächtige 
soziale Bewegung, die das Gedenken an die Spanische Revolution gegenüber
 jenem an den Bürgerkrieg starkmachen könnte, existiert nicht.
Der Anarchismus in Deutschland und Österreich hat als Massenbewegung den
 Nationalsozialismus nicht überlebt. Die libertären Bewegungen der 
Nachkriegszeit waren im deutschsprachigen Raum marginalisiert, nicht nur
 was ihren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis betrifft. (Umso 
wichtiger werden die in Sub-, Nischen oder Avantgardekulturen gelegten 
Spuren, auch wenn sie nach Greil Marcus so wenig beständig sind wie 
"lipstick traces on a cigarette ...") Libertäre Gedanken erlangten erst 
im Kontext der Revolte von 1968 wieder größere Bedeutung.
Dieser Bedeutungsgewinn allerdings ging gerade einher mit der 
allgemeinen Abkehr der Neuen Linken von einem Revolutionsmodell, das 
IndustriearbeiterIn und Bauer/Bäuerin als Subjekte favorisierte. Genau 
diese aber hatten Anarchismus und Revolution in Spanien geprägt und 
getragen. Die Erinnerung an die Spanische Revolution fand also auch in 
den revoltierenden StudentInnen und ArbeiterInnen der 1960er-Jahre keine
 ProtagonistInnen.
Und die SpanienkämpferInnen selber? In der DDR galten sie als 
Helden/Heldinnen und waren für die antifaschistische Staatsdoktrin 
bedeutsam, wichtige Mitglieder des Politbüros (wie etwa Erich Mielke) 
waren Spanienkämpfer. Das für sie errichtete Denkmal in 
Berlin-Friedrichshain (von Fritz Cremer, 1966/68) verschafft wohl kaum 
mehr den Schatten eines Eindrucks davon. Anders als in Westdeutschland 
ist auch in Österreich ihr Schicksal bestens dokumentiert und im 
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) öffentlich 
zugänglich. Geprägt von kommunistischen InterbrigadistInnen, blieb das 
Bild des Bürgerkrieges aber sowohl in der DDR als auch in Österreich 
frei von Erinnerungen an die Revolution. Denn die Internationalen 
Brigaden formierten sich erst ab Ende 1936, als die Revolution bereits 
zurückgedrängt wurde, und sie waren stark kommunistisch geprägt.
Das (Ver)Schweigen brechen
Die KommunistInnen, nicht zu vergessen, verfolgten im Spanischen 
Bürgerkrieg ausdrücklich antirevolutionäre Ziele. Der surrealistische 
Dichter Benjamin Péret, der zeitweise in anarchistischen Milizen 
kämpfte, kritisierte die im Laufe der ersten Kriegsmonate dominanter 
werdenden KommunistInnen schon früh und warnte vor den Stalintreuen.
Im Mai 1937 schossen in Barcelona dann KommunistInnen auf 
AnarchistInnen, mittem im antifaschistischen Kampf gegen die 
Franco-Truppen. Einem deutschsprachigen Publikum, dem in Zeiten des 
Kalten Krieges kaum die historische Tatsache des Bürgerkriegs zugemutet 
wurde, auch noch den linken "Genossenmord" zu erklären, erscheint 
undenkbar.
Verschwiegen wurde also nicht nur die Revolution, sondern auch die 
mörderische Politik der stalinistischen KommunistInnen, der u. a. viele 
AnarchistInnen zum Opfer fielen. Um das (Ver-)Schweigen zu brechen, 
fehlte es eben an sozialen Kräften, die daran ein Interesse hätten haben
 können – auch innerhalb der radikalen Linken.
Als Beitrag im Kampf um die Erinnerung kann diesbezüglich auch das 
Vorwort gelten, das der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1986 für
 das Buch des Spanienkämpfers Fritz Teppich verfasst hatte (und das 1996
 unverändert wiederaufgelegt wurde). Hinsichtlich der Kritik am 
kommunistischen Vorgehen im revolutionären Spanien meint Gremliza, sie 
zielte darauf, "eine real mögliche Befreiung von jener 
Mehrwertegemeinschaft zu verhindern, in deren Dienst der s. g. 
freiheitliche, demokratische oder libertäre Sozialismus steht." Es 
genügt freilich ein Blick auf die historischen Quellen, um zu belegen, 
dass gerade nicht der libertäre Sozialismus, sondern die Politik der 
KommunistInnen explizit antirevolutionär war. Dass kommunistische 
Propagandalügen wie diese vom Herausgeber der größten linken 
Monatszeitung in Deutschland verbreitet werden, macht nur ein weiteres 
Mal die Defensive deutlich, in der anarchistische Geschichtsschreibung 
sich befindet.
Aufgabe für die Forschung
Das kollektive Gedächtnis kommt nicht allein in Filmen oder Büchern zum 
Ausdruck, sondern auch im Alltag. Im Gegensatz zu jenen lässt sich 
dieser aber weder nach BesucherInnenzahlen oder Auflagenstärke abfragen 
und so wie Hans-Magnus Enzensbergers Buch Der kurze Sommer der Anarchie 
(1972) oder der Film Land and Freedom (1995) von Ken Loach als 
vergleichsweise libertäre Erfolge verbuchen. Danach zu suchen wäre 
demnach eine Aufgabe für die Kultur- und Sozialforschung, die auch an 
emanzipatorischen politischen Alternativen interessiert ist. Denn 
letztlich, schrieb schon Maurice Halbwachs 1925 in Das Gedächtnis und 
seine sozialen Bedingungen, gibt es "keine soziale Idee, die nicht 
zugleich eine Erinnerung der Gesellschaft wäre."
Die meisten der von der Historikerin Vera Bianchi beschriebenen, 
alltäglichen Errungenschaften der Mujeres Libres – mit rund 20.000 
Mitgliedern sicherlich eine der größten feministischen Organisationen 
aller Zeiten – fielen wohl der Franco-Diktatur zum Opfer. Dass die erste
 Ministerin auf europäischem Boden seit der Pariser Kommune 1871, mit 
Federica Montseny paradoxerweise ausgerechnet eine Anarchistin, oder die
 erste gesetzliche Legitimierung der Abtreibung (in Katalonien) spätere 
feministische Kämpfe beflügelt haben, ist zwar anzunehmen, lässt sich 
aber kaum belegen.
Anders die Erfolge der revolutionären Alphabetisierungskampagnen: Sie 
wieder rückgängig zu machen hätte selbst – wie der Hispanist Martin 
Baxmeyer betont – die blutigste Diktatur nicht geschafft. Zwar haben es 
die frisch Alphabetisierten im Laufe des Bürgerkriegs zu einer 
historisch einmaligen Versproduktion gebracht. Um in Film und Fernsehen 
repräsentiert zu werden, hat es aber nicht gereicht. Mit solchen Leuten 
hatten Typen wie Stiller oder Rick Blaine wohl auch zu wenig Kontakt, um
 von ihnen zu erzählen. (Jens Kastner, 9.7.2016)
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie
 der bildenden Künste Wien. Er forscht und schreibt. - 
derstandard.at/2000040710416/Spanischer-Buergerkrieg-Die-vergessene-Revolution
Spanischer 
Bürgerkrieg: Die vergessene Revolution
AnalyseJens Kastner9. Juli 2016, 13:00
116 Postings
Im Juli jährt sich der Beginn des Bürgerkriegs zum 80. Mal. Er gilt als 
Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts
Was haben der Stiller von Max Frisch und Rick, Cafébesitzer aus 
Casablanca, gemeinsam? Sie gehören zu den viel besprochenen fiktionalen 
Figuren, die neben allem anderen auch noch eines waren: sogenannte 
Spanienkämpfer.
Bereits mit seinem Beginn im Juli 1936 gehörte der Spanische Bürgerkrieg
 zu einem wichtigen und aus der europäischen Geistesgeschichte nicht 
mehr wegzudenkenden Gegenstand von Film, Literatur und bildenden 
Künsten. Nicht zuletzt den vielen an Kampfhandlungen beteiligten 
KünstlerInnen und Intellektuellen ist es zu verdanken, dass Motive des 
Bürgerkriegs zu Motivationen künstlerischer Produktion wurden. Von dem 
Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman (1942), der im 
Dienste der US-amerikanischen Anti-Nazi-Propaganda stand, über die 
Identitätsproblematik beim Schweizer Romancier Max Frisch (1954) bis zu 
Pablo Picassos "Guernica" (1937) und Hemingways "Wem die Stunde 
schlägt": Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den 
berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts.
Kein Vergleich dazu: die Soziale Revolution. Sie gehört zu dem, was der 
französische Soziologe "vergessen gemachte Geschichte" genannt hat. Als 
Reaktion auf den Putsch der rechten Generäle brach in weiten Teilen 
Kataloniens und Andalusiens eine libertäre Revolution aus, 
landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und kollektiviert, 
städtische Fabriken von den ArbeiterInnen übernommen und 
gemeinschaftlich geführt. Die schwarz-rote Fahne der 
AnarchosyndikalistInnen prägte das Stadtbild von Barcelona. Zum Abschied
 grüßte man mit "Saludos" ("Grüße") statt mit "Adios", weil man den 
antifaschistischen Kampf auch als einen gegen Gott ("dios") und vor 
allem gegen die katholische Kirche begriff.
Sperrzonen des Erinnerns
Auch über solch revolutionären Alltag ist einiges geschrieben worden: 
Der Augenzeuge George Orwell befand bekanntlich, dass die Menschen in 
den ersten Wochen der Revolution endlich aufgehört hätten, sich wie 
Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu benehmen. Und der Poptheoretiker
 Greil Marcus wertete mehr als fünfzig Jahre später im Rückblick die 
radikalen kulturellen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (wie die 
SituationistInnen) oder auch das Aufkommen von Punk als Effekt der 
uneingelösten Versprechen von Barcelona 1936. Auch wenn in Songs von 
Punk-, Hardcore- oder Pop-Bands wie Crass, The Ex, Sin Dios oder 
Chumbawamba die Spanische Revolution seit den späten 1970er-Jahren immer
 wieder gefeiert wurde, an die Popularität des Bürgerkrieges im 
kollektiven Gedächtnis kommt sie doch nicht annähernd heran. So ergibt 
sich für die Erinnerung an die Revolution das Gleiche, was schon für das
 Verhältnis von Revolution und Krieg galt: Gegen Letzteren hat Erstere 
keine Chance.
Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann bemerken in ihrem Buch über die
 Folgen des Spanischen Bürgerkrieges, dass es wegen der starken 
Orientierung auf einen demokratischen Konsens im postdiktatorischen 
Spanien zu bestimmten "Sperrzonen des Erinnerns" gekommen sei. Als 
Beispiel für solche Sperrzonen nennen sie die Schuldfrage oder die Frage
 der Monarchie.
Die Revolution ist offenbar dermaßen ab- und aus der Erinnerung 
ausgesperrt, dass selbst die beiden Fachhistoriker sie in diesem Kontext
 nicht erwähnen. (Den Verlauf der Revolution hingegen würdigen sie 
kritisch und ausführlich).
Das kollektive Gedächtnis in Spanien hat sich nach Francos Tod (1975) 
hinsichtlich der Jahre 1936-1939 in der Formel der "nationalen Tragödie"
 eingerichtet. In dieser Formel aber – der auch Bernecker und Brinkmann 
zuzustimmen scheinen – findet die Revolution keinen Platz. Die Rede von 
der "nationalen Tragödie" schließt nicht nur Errungenschaften der 
Revolution aus, sondern leugnet auch die internationale Dimension der 
Ereignisse.
Selbst als im Jahr 2011 die soziale Bewegung der Empörten mit dem 
Hashtag #spanishrevolution mobilisierte, war von 1936 nicht die Rede. In
 den Verlautbarungen der Demokratiebewegung standen zwar auch 
Kapitalismus und Repräsentationspolitiken zur Debatte. Bezugnahmen auf 
die libertäre Revolution 75 Jahre zuvor gab es so gut wie gar nicht.
Wenn an revolutionäre Errungenschaften und transnationale Verflechtungen
 in Spanien selbst kaum gedacht wird, dann natürlich noch viel weniger 
im deutschsprachigen Raum. Angesichts weit folgenreicherer 
Interventionen der deutschen Wehrmacht im Anschluss an die Bombardierung
 der baskischen Stadt Guernica (1937) durch die "Legion Condor", nahm 
der Spanische Bürgerkrieg nie eine wichtige Rolle in der 
deutschsprachigen kollektiven Erinnerung ein.
Verlor die nationalsozialistische Beteiligung rückblickend an Gewicht, 
kamen die AkteurInnen der Gegenseite kaum dazu, ihre Sicht der Dinge im 
kollektiven Gedächtnis zu verankern: Viele deutschsprachige 
SpanienkämpferInnen überlebten die nationalsozialistischen 
Konzentrationslager nicht. Die überlebenden KommunistInnen wurden in der
 DDR zwar gefeiert, auch in Österreich wurden ihre Geschichten dank des 
unermüdlichen Engagements einiger ihrer ProtagonistInnen zumindest in 
Kreisen von HistorikerInnen und linken AktivistInnen immer wieder 
erzählt, im westdeutschen Alltag konnten sich Erfahrungen aus Spanien 
mangels ErfahrungsträgerInnen aber nicht etablieren. Etwa 5000 
ÖsterreicherInnen und Deutsche hatten in den Internationalen Brigaden 
gekämpft, um die 15.000 waren als Teil der "Legion Condor" in Spanien.
Das Wissen über den Bürgerkrieg verblieb in Fachkreisen, selbst 
Anspielungen wie die in Casablanca blieben der deutschsprachigen 
Öffentlichkeit oft erspart: Der Film war auf Deutsch bis 1975 nur in 
einer entpolitisierten, zerstückelten und falsch synchronisierten 
Fassung zugänglich: Der Widerstandskämpfer Victor László war bis dahin 
der Atomphysiker Victor Larsen, die Figur des Nazi-Majors Strasser hatte
 man ganz herausgeschnitten.
Die zentrale Frage
Und was die Revolution betrifft, hatte Walter Haubrich sicher auch 1994 
noch recht, als er in der FAZ Abel Paz' große Biografie des Anarchisten 
Buenaventura Durruti eine "spannend zu lesende Einführung in einen in 
Deutschland vielleicht gar nicht so bekannten Bereich der ideologischen 
Diskussion und Geschichte unseres Jahrhunderts" nannte.
Die zentrale Frage, warum die Revolution keinen festen Platz im 
kollektiven Gedächtnis hat und bestenfalls in subkulturellen Formen 
existiert, ist nicht schwer zu beantworten.
Bernecker und Brinkmann stellen fest, dass der Wunsch, eine Neuauflage 
der Konflikte der 1930er-Jahre zu verhindern, in Spanien "beinahe zur 
Obsession" wurde. Ein Gedenken, das an Ereignisse jenseits des 
parlamentarisch-demokratischen Konsenses gemahnte, musste dieser 
Obsession widersprechen. Genau dafür steht aber die von den 
AnarchistInnen getragene Revolution. Schon den AnarchistInnen von 1936, 
obwohl sie mit der CNT die damals mitgliederstärkste Gewerkschaft der 
Welt stellten, waren international isoliert.
Diese Isolierung setzt sich in der Marginalisierung anarchistischer 
Positionen heute fort. Wie die damaligen Errungenschaften müssen aber 
auch die Erinnerungen verteidigt werden. Das kollektive Gedächtnis ist 
ja kein statisches Gebilde, sondern stets in Bewegung und vor allem 
permanent umkämpft. Zur Durchsetzung oder auch nur zur Verteidigung von 
Erinnerung braucht es Subjekte, die für bestimmte Inhalte eintreten und 
gesellschaftliche Bündnisse, die sie mittragen. Eine wirkmächtige 
soziale Bewegung, die das Gedenken an die Spanische Revolution gegenüber
 jenem an den Bürgerkrieg starkmachen könnte, existiert nicht.
Der Anarchismus in Deutschland und Österreich hat als Massenbewegung den
 Nationalsozialismus nicht überlebt. Die libertären Bewegungen der 
Nachkriegszeit waren im deutschsprachigen Raum marginalisiert, nicht nur
 was ihren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis betrifft. (Umso 
wichtiger werden die in Sub-, Nischen oder Avantgardekulturen gelegten 
Spuren, auch wenn sie nach Greil Marcus so wenig beständig sind wie 
"lipstick traces on a cigarette ...") Libertäre Gedanken erlangten erst 
im Kontext der Revolte von 1968 wieder größere Bedeutung.
Dieser Bedeutungsgewinn allerdings ging gerade einher mit der 
allgemeinen Abkehr der Neuen Linken von einem Revolutionsmodell, das 
IndustriearbeiterIn und Bauer/Bäuerin als Subjekte favorisierte. Genau 
diese aber hatten Anarchismus und Revolution in Spanien geprägt und 
getragen. Die Erinnerung an die Spanische Revolution fand also auch in 
den revoltierenden StudentInnen und ArbeiterInnen der 1960er-Jahre keine
 ProtagonistInnen.
Und die SpanienkämpferInnen selber? In der DDR galten sie als 
Helden/Heldinnen und waren für die antifaschistische Staatsdoktrin 
bedeutsam, wichtige Mitglieder des Politbüros (wie etwa Erich Mielke) 
waren Spanienkämpfer. Das für sie errichtete Denkmal in 
Berlin-Friedrichshain (von Fritz Cremer, 1966/68) verschafft wohl kaum 
mehr den Schatten eines Eindrucks davon. Anders als in Westdeutschland 
ist auch in Österreich ihr Schicksal bestens dokumentiert und im 
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) öffentlich 
zugänglich. Geprägt von kommunistischen InterbrigadistInnen, blieb das 
Bild des Bürgerkrieges aber sowohl in der DDR als auch in Österreich 
frei von Erinnerungen an die Revolution. Denn die Internationalen 
Brigaden formierten sich erst ab Ende 1936, als die Revolution bereits 
zurückgedrängt wurde, und sie waren stark kommunistisch geprägt.
Das (Ver)Schweigen brechen
Die KommunistInnen, nicht zu vergessen, verfolgten im Spanischen 
Bürgerkrieg ausdrücklich antirevolutionäre Ziele. Der surrealistische 
Dichter Benjamin Péret, der zeitweise in anarchistischen Milizen 
kämpfte, kritisierte die im Laufe der ersten Kriegsmonate dominanter 
werdenden KommunistInnen schon früh und warnte vor den Stalintreuen.
Im Mai 1937 schossen in Barcelona dann KommunistInnen auf 
AnarchistInnen, mittem im antifaschistischen Kampf gegen die 
Franco-Truppen. Einem deutschsprachigen Publikum, dem in Zeiten des 
Kalten Krieges kaum die historische Tatsache des Bürgerkriegs zugemutet 
wurde, auch noch den linken "Genossenmord" zu erklären, erscheint 
undenkbar.
Verschwiegen wurde also nicht nur die Revolution, sondern auch die 
mörderische Politik der stalinistischen KommunistInnen, der u. a. viele 
AnarchistInnen zum Opfer fielen. Um das (Ver-)Schweigen zu brechen, 
fehlte es eben an sozialen Kräften, die daran ein Interesse hätten haben
 können – auch innerhalb der radikalen Linken.
Als Beitrag im Kampf um die Erinnerung kann diesbezüglich auch das 
Vorwort gelten, das der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1986 für
 das Buch des Spanienkämpfers Fritz Teppich verfasst hatte (und das 1996
 unverändert wiederaufgelegt wurde). Hinsichtlich der Kritik am 
kommunistischen Vorgehen im revolutionären Spanien meint Gremliza, sie 
zielte darauf, "eine real mögliche Befreiung von jener 
Mehrwertegemeinschaft zu verhindern, in deren Dienst der s. g. 
freiheitliche, demokratische oder libertäre Sozialismus steht." Es 
genügt freilich ein Blick auf die historischen Quellen, um zu belegen, 
dass gerade nicht der libertäre Sozialismus, sondern die Politik der 
KommunistInnen explizit antirevolutionär war. Dass kommunistische 
Propagandalügen wie diese vom Herausgeber der größten linken 
Monatszeitung in Deutschland verbreitet werden, macht nur ein weiteres 
Mal die Defensive deutlich, in der anarchistische Geschichtsschreibung 
sich befindet.
Aufgabe für die Forschung
Das kollektive Gedächtnis kommt nicht allein in Filmen oder Büchern zum 
Ausdruck, sondern auch im Alltag. Im Gegensatz zu jenen lässt sich 
dieser aber weder nach BesucherInnenzahlen oder Auflagenstärke abfragen 
und so wie Hans-Magnus Enzensbergers Buch Der kurze Sommer der Anarchie 
(1972) oder der Film Land and Freedom (1995) von Ken Loach als 
vergleichsweise libertäre Erfolge verbuchen. Danach zu suchen wäre 
demnach eine Aufgabe für die Kultur- und Sozialforschung, die auch an 
emanzipatorischen politischen Alternativen interessiert ist. Denn 
letztlich, schrieb schon Maurice Halbwachs 1925 in Das Gedächtnis und 
seine sozialen Bedingungen, gibt es "keine soziale Idee, die nicht 
zugleich eine Erinnerung der Gesellschaft wäre."
Die meisten der von der Historikerin Vera Bianchi beschriebenen, 
alltäglichen Errungenschaften der Mujeres Libres – mit rund 20.000 
Mitgliedern sicherlich eine der größten feministischen Organisationen 
aller Zeiten – fielen wohl der Franco-Diktatur zum Opfer. Dass die erste
 Ministerin auf europäischem Boden seit der Pariser Kommune 1871, mit 
Federica Montseny paradoxerweise ausgerechnet eine Anarchistin, oder die
 erste gesetzliche Legitimierung der Abtreibung (in Katalonien) spätere 
feministische Kämpfe beflügelt haben, ist zwar anzunehmen, lässt sich 
aber kaum belegen.
Anders die Erfolge der revolutionären Alphabetisierungskampagnen: Sie 
wieder rückgängig zu machen hätte selbst – wie der Hispanist Martin 
Baxmeyer betont – die blutigste Diktatur nicht geschafft. Zwar haben es 
die frisch Alphabetisierten im Laufe des Bürgerkriegs zu einer 
historisch einmaligen Versproduktion gebracht. Um in Film und Fernsehen 
repräsentiert zu werden, hat es aber nicht gereicht. Mit solchen Leuten 
hatten Typen wie Stiller oder Rick Blaine wohl auch zu wenig Kontakt, um
 von ihnen zu erzählen. (Jens Kastner, 9.7.2016)
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie
 der bildenden Künste Wien. Er forscht und schreibt. - 
derstandard.at/2000040710416/Spanischer-Buergerkrieg-Die-vergessene-Revolution Spanischer 
Bürgerkrieg: Die vergessene Revolution
AnalyseJens Kastner9. Juli 2016, 13:00
116 Postings
Im Juli jährt sich der Beginn des Bürgerkriegs zum 80. Mal. Er gilt als 
Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts
Was haben der Stiller von Max Frisch und Rick, Cafébesitzer aus 
Casablanca, gemeinsam? Sie gehören zu den viel besprochenen fiktionalen 
Figuren, die neben allem anderen auch noch eines waren: sogenannte 
Spanienkämpfer.
Bereits mit seinem Beginn im Juli 1936 gehörte der Spanische Bürgerkrieg
 zu einem wichtigen und aus der europäischen Geistesgeschichte nicht 
mehr wegzudenkenden Gegenstand von Film, Literatur und bildenden 
Künsten. Nicht zuletzt den vielen an Kampfhandlungen beteiligten 
KünstlerInnen und Intellektuellen ist es zu verdanken, dass Motive des 
Bürgerkriegs zu Motivationen künstlerischer Produktion wurden. Von dem 
Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman (1942), der im 
Dienste der US-amerikanischen Anti-Nazi-Propaganda stand, über die 
Identitätsproblematik beim Schweizer Romancier Max Frisch (1954) bis zu 
Pablo Picassos "Guernica" (1937) und Hemingways "Wem die Stunde 
schlägt": Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den 
berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts.
Kein Vergleich dazu: die Soziale Revolution. Sie gehört zu dem, was der 
französische Soziologe "vergessen gemachte Geschichte" genannt hat. Als 
Reaktion auf den Putsch der rechten Generäle brach in weiten Teilen 
Kataloniens und Andalusiens eine libertäre Revolution aus, 
landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und kollektiviert, 
städtische Fabriken von den ArbeiterInnen übernommen und 
gemeinschaftlich geführt. Die schwarz-rote Fahne der 
AnarchosyndikalistInnen prägte das Stadtbild von Barcelona. Zum Abschied
 grüßte man mit "Saludos" ("Grüße") statt mit "Adios", weil man den 
antifaschistischen Kampf auch als einen gegen Gott ("dios") und vor 
allem gegen die katholische Kirche begriff.
Sperrzonen des Erinnerns
Auch über solch revolutionären Alltag ist einiges geschrieben worden: 
Der Augenzeuge George Orwell befand bekanntlich, dass die Menschen in 
den ersten Wochen der Revolution endlich aufgehört hätten, sich wie 
Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu benehmen. Und der Poptheoretiker
 Greil Marcus wertete mehr als fünfzig Jahre später im Rückblick die 
radikalen kulturellen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (wie die 
SituationistInnen) oder auch das Aufkommen von Punk als Effekt der 
uneingelösten Versprechen von Barcelona 1936. Auch wenn in Songs von 
Punk-, Hardcore- oder Pop-Bands wie Crass, The Ex, Sin Dios oder 
Chumbawamba die Spanische Revolution seit den späten 1970er-Jahren immer
 wieder gefeiert wurde, an die Popularität des Bürgerkrieges im 
kollektiven Gedächtnis kommt sie doch nicht annähernd heran. So ergibt 
sich für die Erinnerung an die Revolution das Gleiche, was schon für das
 Verhältnis von Revolution und Krieg galt: Gegen Letzteren hat Erstere 
keine Chance.
Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann bemerken in ihrem Buch über die
 Folgen des Spanischen Bürgerkrieges, dass es wegen der starken 
Orientierung auf einen demokratischen Konsens im postdiktatorischen 
Spanien zu bestimmten "Sperrzonen des Erinnerns" gekommen sei. Als 
Beispiel für solche Sperrzonen nennen sie die Schuldfrage oder die Frage
 der Monarchie.
Die Revolution ist offenbar dermaßen ab- und aus der Erinnerung 
ausgesperrt, dass selbst die beiden Fachhistoriker sie in diesem Kontext
 nicht erwähnen. (Den Verlauf der Revolution hingegen würdigen sie 
kritisch und ausführlich).
Das kollektive Gedächtnis in Spanien hat sich nach Francos Tod (1975) 
hinsichtlich der Jahre 1936-1939 in der Formel der "nationalen Tragödie"
 eingerichtet. In dieser Formel aber – der auch Bernecker und Brinkmann 
zuzustimmen scheinen – findet die Revolution keinen Platz. Die Rede von 
der "nationalen Tragödie" schließt nicht nur Errungenschaften der 
Revolution aus, sondern leugnet auch die internationale Dimension der 
Ereignisse.
Selbst als im Jahr 2011 die soziale Bewegung der Empörten mit dem 
Hashtag #spanishrevolution mobilisierte, war von 1936 nicht die Rede. In
 den Verlautbarungen der Demokratiebewegung standen zwar auch 
Kapitalismus und Repräsentationspolitiken zur Debatte. Bezugnahmen auf 
die libertäre Revolution 75 Jahre zuvor gab es so gut wie gar nicht.
Wenn an revolutionäre Errungenschaften und transnationale Verflechtungen
 in Spanien selbst kaum gedacht wird, dann natürlich noch viel weniger 
im deutschsprachigen Raum. Angesichts weit folgenreicherer 
Interventionen der deutschen Wehrmacht im Anschluss an die Bombardierung
 der baskischen Stadt Guernica (1937) durch die "Legion Condor", nahm 
der Spanische Bürgerkrieg nie eine wichtige Rolle in der 
deutschsprachigen kollektiven Erinnerung ein.
Verlor die nationalsozialistische Beteiligung rückblickend an Gewicht, 
kamen die AkteurInnen der Gegenseite kaum dazu, ihre Sicht der Dinge im 
kollektiven Gedächtnis zu verankern: Viele deutschsprachige 
SpanienkämpferInnen überlebten die nationalsozialistischen 
Konzentrationslager nicht. Die überlebenden KommunistInnen wurden in der
 DDR zwar gefeiert, auch in Österreich wurden ihre Geschichten dank des 
unermüdlichen Engagements einiger ihrer ProtagonistInnen zumindest in 
Kreisen von HistorikerInnen und linken AktivistInnen immer wieder 
erzählt, im westdeutschen Alltag konnten sich Erfahrungen aus Spanien 
mangels ErfahrungsträgerInnen aber nicht etablieren. Etwa 5000 
ÖsterreicherInnen und Deutsche hatten in den Internationalen Brigaden 
gekämpft, um die 15.000 waren als Teil der "Legion Condor" in Spanien.
Das Wissen über den Bürgerkrieg verblieb in Fachkreisen, selbst 
Anspielungen wie die in Casablanca blieben der deutschsprachigen 
Öffentlichkeit oft erspart: Der Film war auf Deutsch bis 1975 nur in 
einer entpolitisierten, zerstückelten und falsch synchronisierten 
Fassung zugänglich: Der Widerstandskämpfer Victor László war bis dahin 
der Atomphysiker Victor Larsen, die Figur des Nazi-Majors Strasser hatte
 man ganz herausgeschnitten.
Die zentrale Frage
Und was die Revolution betrifft, hatte Walter Haubrich sicher auch 1994 
noch recht, als er in der FAZ Abel Paz' große Biografie des Anarchisten 
Buenaventura Durruti eine "spannend zu lesende Einführung in einen in 
Deutschland vielleicht gar nicht so bekannten Bereich der ideologischen 
Diskussion und Geschichte unseres Jahrhunderts" nannte.
Die zentrale Frage, warum die Revolution keinen festen Platz im 
kollektiven Gedächtnis hat und bestenfalls in subkulturellen Formen 
existiert, ist nicht schwer zu beantworten.
Bernecker und Brinkmann stellen fest, dass der Wunsch, eine Neuauflage 
der Konflikte der 1930er-Jahre zu verhindern, in Spanien "beinahe zur 
Obsession" wurde. Ein Gedenken, das an Ereignisse jenseits des 
parlamentarisch-demokratischen Konsenses gemahnte, musste dieser 
Obsession widersprechen. Genau dafür steht aber die von den 
AnarchistInnen getragene Revolution. Schon den AnarchistInnen von 1936, 
obwohl sie mit der CNT die damals mitgliederstärkste Gewerkschaft der 
Welt stellten, waren international isoliert.
Diese Isolierung setzt sich in der Marginalisierung anarchistischer 
Positionen heute fort. Wie die damaligen Errungenschaften müssen aber 
auch die Erinnerungen verteidigt werden. Das kollektive Gedächtnis ist 
ja kein statisches Gebilde, sondern stets in Bewegung und vor allem 
permanent umkämpft. Zur Durchsetzung oder auch nur zur Verteidigung von 
Erinnerung braucht es Subjekte, die für bestimmte Inhalte eintreten und 
gesellschaftliche Bündnisse, die sie mittragen. Eine wirkmächtige 
soziale Bewegung, die das Gedenken an die Spanische Revolution gegenüber
 jenem an den Bürgerkrieg starkmachen könnte, existiert nicht.
Der Anarchismus in Deutschland und Österreich hat als Massenbewegung den
 Nationalsozialismus nicht überlebt. Die libertären Bewegungen der 
Nachkriegszeit waren im deutschsprachigen Raum marginalisiert, nicht nur
 was ihren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis betrifft. (Umso 
wichtiger werden die in Sub-, Nischen oder Avantgardekulturen gelegten 
Spuren, auch wenn sie nach Greil Marcus so wenig beständig sind wie 
"lipstick traces on a cigarette ...") Libertäre Gedanken erlangten erst 
im Kontext der Revolte von 1968 wieder größere Bedeutung.
Dieser Bedeutungsgewinn allerdings ging gerade einher mit der 
allgemeinen Abkehr der Neuen Linken von einem Revolutionsmodell, das 
IndustriearbeiterIn und Bauer/Bäuerin als Subjekte favorisierte. Genau 
diese aber hatten Anarchismus und Revolution in Spanien geprägt und 
getragen. Die Erinnerung an die Spanische Revolution fand also auch in 
den revoltierenden StudentInnen und ArbeiterInnen der 1960er-Jahre keine
 ProtagonistInnen.
Und die SpanienkämpferInnen selber? In der DDR galten sie als 
Helden/Heldinnen und waren für die antifaschistische Staatsdoktrin 
bedeutsam, wichtige Mitglieder des Politbüros (wie etwa Erich Mielke) 
waren Spanienkämpfer. Das für sie errichtete Denkmal in 
Berlin-Friedrichshain (von Fritz Cremer, 1966/68) verschafft wohl kaum 
mehr den Schatten eines Eindrucks davon. Anders als in Westdeutschland 
ist auch in Österreich ihr Schicksal bestens dokumentiert und im 
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) öffentlich 
zugänglich. Geprägt von kommunistischen InterbrigadistInnen, blieb das 
Bild des Bürgerkrieges aber sowohl in der DDR als auch in Österreich 
frei von Erinnerungen an die Revolution. Denn die Internationalen 
Brigaden formierten sich erst ab Ende 1936, als die Revolution bereits 
zurückgedrängt wurde, und sie waren stark kommunistisch geprägt.
Das (Ver)Schweigen brechen
Die KommunistInnen, nicht zu vergessen, verfolgten im Spanischen 
Bürgerkrieg ausdrücklich antirevolutionäre Ziele. Der surrealistische 
Dichter Benjamin Péret, der zeitweise in anarchistischen Milizen 
kämpfte, kritisierte die im Laufe der ersten Kriegsmonate dominanter 
werdenden KommunistInnen schon früh und warnte vor den Stalintreuen.
Im Mai 1937 schossen in Barcelona dann KommunistInnen auf 
AnarchistInnen, mittem im antifaschistischen Kampf gegen die 
Franco-Truppen. Einem deutschsprachigen Publikum, dem in Zeiten des 
Kalten Krieges kaum die historische Tatsache des Bürgerkriegs zugemutet 
wurde, auch noch den linken "Genossenmord" zu erklären, erscheint 
undenkbar.
Verschwiegen wurde also nicht nur die Revolution, sondern auch die 
mörderische Politik der stalinistischen KommunistInnen, der u. a. viele 
AnarchistInnen zum Opfer fielen. Um das (Ver-)Schweigen zu brechen, 
fehlte es eben an sozialen Kräften, die daran ein Interesse hätten haben
 können – auch innerhalb der radikalen Linken.
Als Beitrag im Kampf um die Erinnerung kann diesbezüglich auch das 
Vorwort gelten, das der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1986 für
 das Buch des Spanienkämpfers Fritz Teppich verfasst hatte (und das 1996
 unverändert wiederaufgelegt wurde). Hinsichtlich der Kritik am 
kommunistischen Vorgehen im revolutionären Spanien meint Gremliza, sie 
zielte darauf, "eine real mögliche Befreiung von jener 
Mehrwertegemeinschaft zu verhindern, in deren Dienst der s. g. 
freiheitliche, demokratische oder libertäre Sozialismus steht." Es 
genügt freilich ein Blick auf die historischen Quellen, um zu belegen, 
dass gerade nicht der libertäre Sozialismus, sondern die Politik der 
KommunistInnen explizit antirevolutionär war. Dass kommunistische 
Propagandalügen wie diese vom Herausgeber der größten linken 
Monatszeitung in Deutschland verbreitet werden, macht nur ein weiteres 
Mal die Defensive deutlich, in der anarchistische Geschichtsschreibung 
sich befindet.
Aufgabe für die Forschung
Das kollektive Gedächtnis kommt nicht allein in Filmen oder Büchern zum 
Ausdruck, sondern auch im Alltag. Im Gegensatz zu jenen lässt sich 
dieser aber weder nach BesucherInnenzahlen oder Auflagenstärke abfragen 
und so wie Hans-Magnus Enzensbergers Buch Der kurze Sommer der Anarchie 
(1972) oder der Film Land and Freedom (1995) von Ken Loach als 
vergleichsweise libertäre Erfolge verbuchen. Danach zu suchen wäre 
demnach eine Aufgabe für die Kultur- und Sozialforschung, die auch an 
emanzipatorischen politischen Alternativen interessiert ist. Denn 
letztlich, schrieb schon Maurice Halbwachs 1925 in Das Gedächtnis und 
seine sozialen Bedingungen, gibt es "keine soziale Idee, die nicht 
zugleich eine Erinnerung der Gesellschaft wäre."
Die meisten der von der Historikerin Vera Bianchi beschriebenen, 
alltäglichen Errungenschaften der Mujeres Libres – mit rund 20.000 
Mitgliedern sicherlich eine der größten feministischen Organisationen 
aller Zeiten – fielen wohl der Franco-Diktatur zum Opfer. Dass die erste
 Ministerin auf europäischem Boden seit der Pariser Kommune 1871, mit 
Federica Montseny paradoxerweise ausgerechnet eine Anarchistin, oder die
 erste gesetzliche Legitimierung der Abtreibung (in Katalonien) spätere 
feministische Kämpfe beflügelt haben, ist zwar anzunehmen, lässt sich 
aber kaum belegen.
Anders die Erfolge der revolutionären Alphabetisierungskampagnen: Sie 
wieder rückgängig zu machen hätte selbst – wie der Hispanist Martin 
Baxmeyer betont – die blutigste Diktatur nicht geschafft. Zwar haben es 
die frisch Alphabetisierten im Laufe des Bürgerkriegs zu einer 
historisch einmaligen Versproduktion gebracht. Um in Film und Fernsehen 
repräsentiert zu werden, hat es aber nicht gereicht. Mit solchen Leuten 
hatten Typen wie Stiller oder Rick Blaine wohl auch zu wenig Kontakt, um
 von ihnen zu erzählen. (Jens Kastner, 9.7.2016)
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie
 der bildenden Künste Wien. Er forscht und schreibt. - 
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