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Spanischer
Bürgerkrieg: Die vergessene Revolution
AnalyseJens Kastner9. Juli 2016, 13:00
116 Postings
Im Juli jährt sich der Beginn des Bürgerkriegs zum 80. Mal. Er gilt als
Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts
Was haben der Stiller von Max Frisch und Rick, Cafébesitzer aus
Casablanca, gemeinsam? Sie gehören zu den viel besprochenen fiktionalen
Figuren, die neben allem anderen auch noch eines waren: sogenannte
Spanienkämpfer.
Bereits mit seinem Beginn im Juli 1936 gehörte der Spanische Bürgerkrieg
zu einem wichtigen und aus der europäischen Geistesgeschichte nicht
mehr wegzudenkenden Gegenstand von Film, Literatur und bildenden
Künsten. Nicht zuletzt den vielen an Kampfhandlungen beteiligten
KünstlerInnen und Intellektuellen ist es zu verdanken, dass Motive des
Bürgerkriegs zu Motivationen künstlerischer Produktion wurden. Von dem
Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman (1942), der im
Dienste der US-amerikanischen Anti-Nazi-Propaganda stand, über die
Identitätsproblematik beim Schweizer Romancier Max Frisch (1954) bis zu
Pablo Picassos "Guernica" (1937) und Hemingways "Wem die Stunde
schlägt": Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den
berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts.
Kein Vergleich dazu: die Soziale Revolution. Sie gehört zu dem, was der
französische Soziologe "vergessen gemachte Geschichte" genannt hat. Als
Reaktion auf den Putsch der rechten Generäle brach in weiten Teilen
Kataloniens und Andalusiens eine libertäre Revolution aus,
landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und kollektiviert,
städtische Fabriken von den ArbeiterInnen übernommen und
gemeinschaftlich geführt. Die schwarz-rote Fahne der
AnarchosyndikalistInnen prägte das Stadtbild von Barcelona. Zum Abschied
grüßte man mit "Saludos" ("Grüße") statt mit "Adios", weil man den
antifaschistischen Kampf auch als einen gegen Gott ("dios") und vor
allem gegen die katholische Kirche begriff.
Sperrzonen des Erinnerns
Auch über solch revolutionären Alltag ist einiges geschrieben worden:
Der Augenzeuge George Orwell befand bekanntlich, dass die Menschen in
den ersten Wochen der Revolution endlich aufgehört hätten, sich wie
Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu benehmen. Und der Poptheoretiker
Greil Marcus wertete mehr als fünfzig Jahre später im Rückblick die
radikalen kulturellen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (wie die
SituationistInnen) oder auch das Aufkommen von Punk als Effekt der
uneingelösten Versprechen von Barcelona 1936. Auch wenn in Songs von
Punk-, Hardcore- oder Pop-Bands wie Crass, The Ex, Sin Dios oder
Chumbawamba die Spanische Revolution seit den späten 1970er-Jahren immer
wieder gefeiert wurde, an die Popularität des Bürgerkrieges im
kollektiven Gedächtnis kommt sie doch nicht annähernd heran. So ergibt
sich für die Erinnerung an die Revolution das Gleiche, was schon für das
Verhältnis von Revolution und Krieg galt: Gegen Letzteren hat Erstere
keine Chance.
Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann bemerken in ihrem Buch über die
Folgen des Spanischen Bürgerkrieges, dass es wegen der starken
Orientierung auf einen demokratischen Konsens im postdiktatorischen
Spanien zu bestimmten "Sperrzonen des Erinnerns" gekommen sei. Als
Beispiel für solche Sperrzonen nennen sie die Schuldfrage oder die Frage
der Monarchie.
Die Revolution ist offenbar dermaßen ab- und aus der Erinnerung
ausgesperrt, dass selbst die beiden Fachhistoriker sie in diesem Kontext
nicht erwähnen. (Den Verlauf der Revolution hingegen würdigen sie
kritisch und ausführlich).
Das kollektive Gedächtnis in Spanien hat sich nach Francos Tod (1975)
hinsichtlich der Jahre 1936-1939 in der Formel der "nationalen Tragödie"
eingerichtet. In dieser Formel aber – der auch Bernecker und Brinkmann
zuzustimmen scheinen – findet die Revolution keinen Platz. Die Rede von
der "nationalen Tragödie" schließt nicht nur Errungenschaften der
Revolution aus, sondern leugnet auch die internationale Dimension der
Ereignisse.
Selbst als im Jahr 2011 die soziale Bewegung der Empörten mit dem
Hashtag #spanishrevolution mobilisierte, war von 1936 nicht die Rede. In
den Verlautbarungen der Demokratiebewegung standen zwar auch
Kapitalismus und Repräsentationspolitiken zur Debatte. Bezugnahmen auf
die libertäre Revolution 75 Jahre zuvor gab es so gut wie gar nicht.
Wenn an revolutionäre Errungenschaften und transnationale Verflechtungen
in Spanien selbst kaum gedacht wird, dann natürlich noch viel weniger
im deutschsprachigen Raum. Angesichts weit folgenreicherer
Interventionen der deutschen Wehrmacht im Anschluss an die Bombardierung
der baskischen Stadt Guernica (1937) durch die "Legion Condor", nahm
der Spanische Bürgerkrieg nie eine wichtige Rolle in der
deutschsprachigen kollektiven Erinnerung ein.
Verlor die nationalsozialistische Beteiligung rückblickend an Gewicht,
kamen die AkteurInnen der Gegenseite kaum dazu, ihre Sicht der Dinge im
kollektiven Gedächtnis zu verankern: Viele deutschsprachige
SpanienkämpferInnen überlebten die nationalsozialistischen
Konzentrationslager nicht. Die überlebenden KommunistInnen wurden in der
DDR zwar gefeiert, auch in Österreich wurden ihre Geschichten dank des
unermüdlichen Engagements einiger ihrer ProtagonistInnen zumindest in
Kreisen von HistorikerInnen und linken AktivistInnen immer wieder
erzählt, im westdeutschen Alltag konnten sich Erfahrungen aus Spanien
mangels ErfahrungsträgerInnen aber nicht etablieren. Etwa 5000
ÖsterreicherInnen und Deutsche hatten in den Internationalen Brigaden
gekämpft, um die 15.000 waren als Teil der "Legion Condor" in Spanien.
Das Wissen über den Bürgerkrieg verblieb in Fachkreisen, selbst
Anspielungen wie die in Casablanca blieben der deutschsprachigen
Öffentlichkeit oft erspart: Der Film war auf Deutsch bis 1975 nur in
einer entpolitisierten, zerstückelten und falsch synchronisierten
Fassung zugänglich: Der Widerstandskämpfer Victor László war bis dahin
der Atomphysiker Victor Larsen, die Figur des Nazi-Majors Strasser hatte
man ganz herausgeschnitten.
Die zentrale Frage
Und was die Revolution betrifft, hatte Walter Haubrich sicher auch 1994
noch recht, als er in der FAZ Abel Paz' große Biografie des Anarchisten
Buenaventura Durruti eine "spannend zu lesende Einführung in einen in
Deutschland vielleicht gar nicht so bekannten Bereich der ideologischen
Diskussion und Geschichte unseres Jahrhunderts" nannte.
Die zentrale Frage, warum die Revolution keinen festen Platz im
kollektiven Gedächtnis hat und bestenfalls in subkulturellen Formen
existiert, ist nicht schwer zu beantworten.
Bernecker und Brinkmann stellen fest, dass der Wunsch, eine Neuauflage
der Konflikte der 1930er-Jahre zu verhindern, in Spanien "beinahe zur
Obsession" wurde. Ein Gedenken, das an Ereignisse jenseits des
parlamentarisch-demokratischen Konsenses gemahnte, musste dieser
Obsession widersprechen. Genau dafür steht aber die von den
AnarchistInnen getragene Revolution. Schon den AnarchistInnen von 1936,
obwohl sie mit der CNT die damals mitgliederstärkste Gewerkschaft der
Welt stellten, waren international isoliert.
Diese Isolierung setzt sich in der Marginalisierung anarchistischer
Positionen heute fort. Wie die damaligen Errungenschaften müssen aber
auch die Erinnerungen verteidigt werden. Das kollektive Gedächtnis ist
ja kein statisches Gebilde, sondern stets in Bewegung und vor allem
permanent umkämpft. Zur Durchsetzung oder auch nur zur Verteidigung von
Erinnerung braucht es Subjekte, die für bestimmte Inhalte eintreten und
gesellschaftliche Bündnisse, die sie mittragen. Eine wirkmächtige
soziale Bewegung, die das Gedenken an die Spanische Revolution gegenüber
jenem an den Bürgerkrieg starkmachen könnte, existiert nicht.
Der Anarchismus in Deutschland und Österreich hat als Massenbewegung den
Nationalsozialismus nicht überlebt. Die libertären Bewegungen der
Nachkriegszeit waren im deutschsprachigen Raum marginalisiert, nicht nur
was ihren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis betrifft. (Umso
wichtiger werden die in Sub-, Nischen oder Avantgardekulturen gelegten
Spuren, auch wenn sie nach Greil Marcus so wenig beständig sind wie
"lipstick traces on a cigarette ...") Libertäre Gedanken erlangten erst
im Kontext der Revolte von 1968 wieder größere Bedeutung.
Dieser Bedeutungsgewinn allerdings ging gerade einher mit der
allgemeinen Abkehr der Neuen Linken von einem Revolutionsmodell, das
IndustriearbeiterIn und Bauer/Bäuerin als Subjekte favorisierte. Genau
diese aber hatten Anarchismus und Revolution in Spanien geprägt und
getragen. Die Erinnerung an die Spanische Revolution fand also auch in
den revoltierenden StudentInnen und ArbeiterInnen der 1960er-Jahre keine
ProtagonistInnen.
Und die SpanienkämpferInnen selber? In der DDR galten sie als
Helden/Heldinnen und waren für die antifaschistische Staatsdoktrin
bedeutsam, wichtige Mitglieder des Politbüros (wie etwa Erich Mielke)
waren Spanienkämpfer. Das für sie errichtete Denkmal in
Berlin-Friedrichshain (von Fritz Cremer, 1966/68) verschafft wohl kaum
mehr den Schatten eines Eindrucks davon. Anders als in Westdeutschland
ist auch in Österreich ihr Schicksal bestens dokumentiert und im
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) öffentlich
zugänglich. Geprägt von kommunistischen InterbrigadistInnen, blieb das
Bild des Bürgerkrieges aber sowohl in der DDR als auch in Österreich
frei von Erinnerungen an die Revolution. Denn die Internationalen
Brigaden formierten sich erst ab Ende 1936, als die Revolution bereits
zurückgedrängt wurde, und sie waren stark kommunistisch geprägt.
Das (Ver)Schweigen brechen
Die KommunistInnen, nicht zu vergessen, verfolgten im Spanischen
Bürgerkrieg ausdrücklich antirevolutionäre Ziele. Der surrealistische
Dichter Benjamin Péret, der zeitweise in anarchistischen Milizen
kämpfte, kritisierte die im Laufe der ersten Kriegsmonate dominanter
werdenden KommunistInnen schon früh und warnte vor den Stalintreuen.
Im Mai 1937 schossen in Barcelona dann KommunistInnen auf
AnarchistInnen, mittem im antifaschistischen Kampf gegen die
Franco-Truppen. Einem deutschsprachigen Publikum, dem in Zeiten des
Kalten Krieges kaum die historische Tatsache des Bürgerkriegs zugemutet
wurde, auch noch den linken "Genossenmord" zu erklären, erscheint
undenkbar.
Verschwiegen wurde also nicht nur die Revolution, sondern auch die
mörderische Politik der stalinistischen KommunistInnen, der u. a. viele
AnarchistInnen zum Opfer fielen. Um das (Ver-)Schweigen zu brechen,
fehlte es eben an sozialen Kräften, die daran ein Interesse hätten haben
können – auch innerhalb der radikalen Linken.
Als Beitrag im Kampf um die Erinnerung kann diesbezüglich auch das
Vorwort gelten, das der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1986 für
das Buch des Spanienkämpfers Fritz Teppich verfasst hatte (und das 1996
unverändert wiederaufgelegt wurde). Hinsichtlich der Kritik am
kommunistischen Vorgehen im revolutionären Spanien meint Gremliza, sie
zielte darauf, "eine real mögliche Befreiung von jener
Mehrwertegemeinschaft zu verhindern, in deren Dienst der s. g.
freiheitliche, demokratische oder libertäre Sozialismus steht." Es
genügt freilich ein Blick auf die historischen Quellen, um zu belegen,
dass gerade nicht der libertäre Sozialismus, sondern die Politik der
KommunistInnen explizit antirevolutionär war. Dass kommunistische
Propagandalügen wie diese vom Herausgeber der größten linken
Monatszeitung in Deutschland verbreitet werden, macht nur ein weiteres
Mal die Defensive deutlich, in der anarchistische Geschichtsschreibung
sich befindet.
Aufgabe für die Forschung
Das kollektive Gedächtnis kommt nicht allein in Filmen oder Büchern zum
Ausdruck, sondern auch im Alltag. Im Gegensatz zu jenen lässt sich
dieser aber weder nach BesucherInnenzahlen oder Auflagenstärke abfragen
und so wie Hans-Magnus Enzensbergers Buch Der kurze Sommer der Anarchie
(1972) oder der Film Land and Freedom (1995) von Ken Loach als
vergleichsweise libertäre Erfolge verbuchen. Danach zu suchen wäre
demnach eine Aufgabe für die Kultur- und Sozialforschung, die auch an
emanzipatorischen politischen Alternativen interessiert ist. Denn
letztlich, schrieb schon Maurice Halbwachs 1925 in Das Gedächtnis und
seine sozialen Bedingungen, gibt es "keine soziale Idee, die nicht
zugleich eine Erinnerung der Gesellschaft wäre."
Die meisten der von der Historikerin Vera Bianchi beschriebenen,
alltäglichen Errungenschaften der Mujeres Libres – mit rund 20.000
Mitgliedern sicherlich eine der größten feministischen Organisationen
aller Zeiten – fielen wohl der Franco-Diktatur zum Opfer. Dass die erste
Ministerin auf europäischem Boden seit der Pariser Kommune 1871, mit
Federica Montseny paradoxerweise ausgerechnet eine Anarchistin, oder die
erste gesetzliche Legitimierung der Abtreibung (in Katalonien) spätere
feministische Kämpfe beflügelt haben, ist zwar anzunehmen, lässt sich
aber kaum belegen.
Anders die Erfolge der revolutionären Alphabetisierungskampagnen: Sie
wieder rückgängig zu machen hätte selbst – wie der Hispanist Martin
Baxmeyer betont – die blutigste Diktatur nicht geschafft. Zwar haben es
die frisch Alphabetisierten im Laufe des Bürgerkriegs zu einer
historisch einmaligen Versproduktion gebracht. Um in Film und Fernsehen
repräsentiert zu werden, hat es aber nicht gereicht. Mit solchen Leuten
hatten Typen wie Stiller oder Rick Blaine wohl auch zu wenig Kontakt, um
von ihnen zu erzählen. (Jens Kastner, 9.7.2016)
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie
der bildenden Künste Wien. Er forscht und schreibt. -
derstandard.at/2000040710416/Spanischer-Buergerkrieg-Die-vergessene-Revolution
Spanischer
Bürgerkrieg: Die vergessene Revolution
AnalyseJens Kastner9. Juli 2016, 13:00
116 Postings
Im Juli jährt sich der Beginn des Bürgerkriegs zum 80. Mal. Er gilt als
Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts
Was haben der Stiller von Max Frisch und Rick, Cafébesitzer aus
Casablanca, gemeinsam? Sie gehören zu den viel besprochenen fiktionalen
Figuren, die neben allem anderen auch noch eines waren: sogenannte
Spanienkämpfer.
Bereits mit seinem Beginn im Juli 1936 gehörte der Spanische Bürgerkrieg
zu einem wichtigen und aus der europäischen Geistesgeschichte nicht
mehr wegzudenkenden Gegenstand von Film, Literatur und bildenden
Künsten. Nicht zuletzt den vielen an Kampfhandlungen beteiligten
KünstlerInnen und Intellektuellen ist es zu verdanken, dass Motive des
Bürgerkriegs zu Motivationen künstlerischer Produktion wurden. Von dem
Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman (1942), der im
Dienste der US-amerikanischen Anti-Nazi-Propaganda stand, über die
Identitätsproblematik beim Schweizer Romancier Max Frisch (1954) bis zu
Pablo Picassos "Guernica" (1937) und Hemingways "Wem die Stunde
schlägt": Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den
berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts.
Kein Vergleich dazu: die Soziale Revolution. Sie gehört zu dem, was der
französische Soziologe "vergessen gemachte Geschichte" genannt hat. Als
Reaktion auf den Putsch der rechten Generäle brach in weiten Teilen
Kataloniens und Andalusiens eine libertäre Revolution aus,
landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und kollektiviert,
städtische Fabriken von den ArbeiterInnen übernommen und
gemeinschaftlich geführt. Die schwarz-rote Fahne der
AnarchosyndikalistInnen prägte das Stadtbild von Barcelona. Zum Abschied
grüßte man mit "Saludos" ("Grüße") statt mit "Adios", weil man den
antifaschistischen Kampf auch als einen gegen Gott ("dios") und vor
allem gegen die katholische Kirche begriff.
Sperrzonen des Erinnerns
Auch über solch revolutionären Alltag ist einiges geschrieben worden:
Der Augenzeuge George Orwell befand bekanntlich, dass die Menschen in
den ersten Wochen der Revolution endlich aufgehört hätten, sich wie
Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu benehmen. Und der Poptheoretiker
Greil Marcus wertete mehr als fünfzig Jahre später im Rückblick die
radikalen kulturellen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (wie die
SituationistInnen) oder auch das Aufkommen von Punk als Effekt der
uneingelösten Versprechen von Barcelona 1936. Auch wenn in Songs von
Punk-, Hardcore- oder Pop-Bands wie Crass, The Ex, Sin Dios oder
Chumbawamba die Spanische Revolution seit den späten 1970er-Jahren immer
wieder gefeiert wurde, an die Popularität des Bürgerkrieges im
kollektiven Gedächtnis kommt sie doch nicht annähernd heran. So ergibt
sich für die Erinnerung an die Revolution das Gleiche, was schon für das
Verhältnis von Revolution und Krieg galt: Gegen Letzteren hat Erstere
keine Chance.
Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann bemerken in ihrem Buch über die
Folgen des Spanischen Bürgerkrieges, dass es wegen der starken
Orientierung auf einen demokratischen Konsens im postdiktatorischen
Spanien zu bestimmten "Sperrzonen des Erinnerns" gekommen sei. Als
Beispiel für solche Sperrzonen nennen sie die Schuldfrage oder die Frage
der Monarchie.
Die Revolution ist offenbar dermaßen ab- und aus der Erinnerung
ausgesperrt, dass selbst die beiden Fachhistoriker sie in diesem Kontext
nicht erwähnen. (Den Verlauf der Revolution hingegen würdigen sie
kritisch und ausführlich).
Das kollektive Gedächtnis in Spanien hat sich nach Francos Tod (1975)
hinsichtlich der Jahre 1936-1939 in der Formel der "nationalen Tragödie"
eingerichtet. In dieser Formel aber – der auch Bernecker und Brinkmann
zuzustimmen scheinen – findet die Revolution keinen Platz. Die Rede von
der "nationalen Tragödie" schließt nicht nur Errungenschaften der
Revolution aus, sondern leugnet auch die internationale Dimension der
Ereignisse.
Selbst als im Jahr 2011 die soziale Bewegung der Empörten mit dem
Hashtag #spanishrevolution mobilisierte, war von 1936 nicht die Rede. In
den Verlautbarungen der Demokratiebewegung standen zwar auch
Kapitalismus und Repräsentationspolitiken zur Debatte. Bezugnahmen auf
die libertäre Revolution 75 Jahre zuvor gab es so gut wie gar nicht.
Wenn an revolutionäre Errungenschaften und transnationale Verflechtungen
in Spanien selbst kaum gedacht wird, dann natürlich noch viel weniger
im deutschsprachigen Raum. Angesichts weit folgenreicherer
Interventionen der deutschen Wehrmacht im Anschluss an die Bombardierung
der baskischen Stadt Guernica (1937) durch die "Legion Condor", nahm
der Spanische Bürgerkrieg nie eine wichtige Rolle in der
deutschsprachigen kollektiven Erinnerung ein.
Verlor die nationalsozialistische Beteiligung rückblickend an Gewicht,
kamen die AkteurInnen der Gegenseite kaum dazu, ihre Sicht der Dinge im
kollektiven Gedächtnis zu verankern: Viele deutschsprachige
SpanienkämpferInnen überlebten die nationalsozialistischen
Konzentrationslager nicht. Die überlebenden KommunistInnen wurden in der
DDR zwar gefeiert, auch in Österreich wurden ihre Geschichten dank des
unermüdlichen Engagements einiger ihrer ProtagonistInnen zumindest in
Kreisen von HistorikerInnen und linken AktivistInnen immer wieder
erzählt, im westdeutschen Alltag konnten sich Erfahrungen aus Spanien
mangels ErfahrungsträgerInnen aber nicht etablieren. Etwa 5000
ÖsterreicherInnen und Deutsche hatten in den Internationalen Brigaden
gekämpft, um die 15.000 waren als Teil der "Legion Condor" in Spanien.
Das Wissen über den Bürgerkrieg verblieb in Fachkreisen, selbst
Anspielungen wie die in Casablanca blieben der deutschsprachigen
Öffentlichkeit oft erspart: Der Film war auf Deutsch bis 1975 nur in
einer entpolitisierten, zerstückelten und falsch synchronisierten
Fassung zugänglich: Der Widerstandskämpfer Victor László war bis dahin
der Atomphysiker Victor Larsen, die Figur des Nazi-Majors Strasser hatte
man ganz herausgeschnitten.
Die zentrale Frage
Und was die Revolution betrifft, hatte Walter Haubrich sicher auch 1994
noch recht, als er in der FAZ Abel Paz' große Biografie des Anarchisten
Buenaventura Durruti eine "spannend zu lesende Einführung in einen in
Deutschland vielleicht gar nicht so bekannten Bereich der ideologischen
Diskussion und Geschichte unseres Jahrhunderts" nannte.
Die zentrale Frage, warum die Revolution keinen festen Platz im
kollektiven Gedächtnis hat und bestenfalls in subkulturellen Formen
existiert, ist nicht schwer zu beantworten.
Bernecker und Brinkmann stellen fest, dass der Wunsch, eine Neuauflage
der Konflikte der 1930er-Jahre zu verhindern, in Spanien "beinahe zur
Obsession" wurde. Ein Gedenken, das an Ereignisse jenseits des
parlamentarisch-demokratischen Konsenses gemahnte, musste dieser
Obsession widersprechen. Genau dafür steht aber die von den
AnarchistInnen getragene Revolution. Schon den AnarchistInnen von 1936,
obwohl sie mit der CNT die damals mitgliederstärkste Gewerkschaft der
Welt stellten, waren international isoliert.
Diese Isolierung setzt sich in der Marginalisierung anarchistischer
Positionen heute fort. Wie die damaligen Errungenschaften müssen aber
auch die Erinnerungen verteidigt werden. Das kollektive Gedächtnis ist
ja kein statisches Gebilde, sondern stets in Bewegung und vor allem
permanent umkämpft. Zur Durchsetzung oder auch nur zur Verteidigung von
Erinnerung braucht es Subjekte, die für bestimmte Inhalte eintreten und
gesellschaftliche Bündnisse, die sie mittragen. Eine wirkmächtige
soziale Bewegung, die das Gedenken an die Spanische Revolution gegenüber
jenem an den Bürgerkrieg starkmachen könnte, existiert nicht.
Der Anarchismus in Deutschland und Österreich hat als Massenbewegung den
Nationalsozialismus nicht überlebt. Die libertären Bewegungen der
Nachkriegszeit waren im deutschsprachigen Raum marginalisiert, nicht nur
was ihren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis betrifft. (Umso
wichtiger werden die in Sub-, Nischen oder Avantgardekulturen gelegten
Spuren, auch wenn sie nach Greil Marcus so wenig beständig sind wie
"lipstick traces on a cigarette ...") Libertäre Gedanken erlangten erst
im Kontext der Revolte von 1968 wieder größere Bedeutung.
Dieser Bedeutungsgewinn allerdings ging gerade einher mit der
allgemeinen Abkehr der Neuen Linken von einem Revolutionsmodell, das
IndustriearbeiterIn und Bauer/Bäuerin als Subjekte favorisierte. Genau
diese aber hatten Anarchismus und Revolution in Spanien geprägt und
getragen. Die Erinnerung an die Spanische Revolution fand also auch in
den revoltierenden StudentInnen und ArbeiterInnen der 1960er-Jahre keine
ProtagonistInnen.
Und die SpanienkämpferInnen selber? In der DDR galten sie als
Helden/Heldinnen und waren für die antifaschistische Staatsdoktrin
bedeutsam, wichtige Mitglieder des Politbüros (wie etwa Erich Mielke)
waren Spanienkämpfer. Das für sie errichtete Denkmal in
Berlin-Friedrichshain (von Fritz Cremer, 1966/68) verschafft wohl kaum
mehr den Schatten eines Eindrucks davon. Anders als in Westdeutschland
ist auch in Österreich ihr Schicksal bestens dokumentiert und im
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) öffentlich
zugänglich. Geprägt von kommunistischen InterbrigadistInnen, blieb das
Bild des Bürgerkrieges aber sowohl in der DDR als auch in Österreich
frei von Erinnerungen an die Revolution. Denn die Internationalen
Brigaden formierten sich erst ab Ende 1936, als die Revolution bereits
zurückgedrängt wurde, und sie waren stark kommunistisch geprägt.
Das (Ver)Schweigen brechen
Die KommunistInnen, nicht zu vergessen, verfolgten im Spanischen
Bürgerkrieg ausdrücklich antirevolutionäre Ziele. Der surrealistische
Dichter Benjamin Péret, der zeitweise in anarchistischen Milizen
kämpfte, kritisierte die im Laufe der ersten Kriegsmonate dominanter
werdenden KommunistInnen schon früh und warnte vor den Stalintreuen.
Im Mai 1937 schossen in Barcelona dann KommunistInnen auf
AnarchistInnen, mittem im antifaschistischen Kampf gegen die
Franco-Truppen. Einem deutschsprachigen Publikum, dem in Zeiten des
Kalten Krieges kaum die historische Tatsache des Bürgerkriegs zugemutet
wurde, auch noch den linken "Genossenmord" zu erklären, erscheint
undenkbar.
Verschwiegen wurde also nicht nur die Revolution, sondern auch die
mörderische Politik der stalinistischen KommunistInnen, der u. a. viele
AnarchistInnen zum Opfer fielen. Um das (Ver-)Schweigen zu brechen,
fehlte es eben an sozialen Kräften, die daran ein Interesse hätten haben
können – auch innerhalb der radikalen Linken.
Als Beitrag im Kampf um die Erinnerung kann diesbezüglich auch das
Vorwort gelten, das der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1986 für
das Buch des Spanienkämpfers Fritz Teppich verfasst hatte (und das 1996
unverändert wiederaufgelegt wurde). Hinsichtlich der Kritik am
kommunistischen Vorgehen im revolutionären Spanien meint Gremliza, sie
zielte darauf, "eine real mögliche Befreiung von jener
Mehrwertegemeinschaft zu verhindern, in deren Dienst der s. g.
freiheitliche, demokratische oder libertäre Sozialismus steht." Es
genügt freilich ein Blick auf die historischen Quellen, um zu belegen,
dass gerade nicht der libertäre Sozialismus, sondern die Politik der
KommunistInnen explizit antirevolutionär war. Dass kommunistische
Propagandalügen wie diese vom Herausgeber der größten linken
Monatszeitung in Deutschland verbreitet werden, macht nur ein weiteres
Mal die Defensive deutlich, in der anarchistische Geschichtsschreibung
sich befindet.
Aufgabe für die Forschung
Das kollektive Gedächtnis kommt nicht allein in Filmen oder Büchern zum
Ausdruck, sondern auch im Alltag. Im Gegensatz zu jenen lässt sich
dieser aber weder nach BesucherInnenzahlen oder Auflagenstärke abfragen
und so wie Hans-Magnus Enzensbergers Buch Der kurze Sommer der Anarchie
(1972) oder der Film Land and Freedom (1995) von Ken Loach als
vergleichsweise libertäre Erfolge verbuchen. Danach zu suchen wäre
demnach eine Aufgabe für die Kultur- und Sozialforschung, die auch an
emanzipatorischen politischen Alternativen interessiert ist. Denn
letztlich, schrieb schon Maurice Halbwachs 1925 in Das Gedächtnis und
seine sozialen Bedingungen, gibt es "keine soziale Idee, die nicht
zugleich eine Erinnerung der Gesellschaft wäre."
Die meisten der von der Historikerin Vera Bianchi beschriebenen,
alltäglichen Errungenschaften der Mujeres Libres – mit rund 20.000
Mitgliedern sicherlich eine der größten feministischen Organisationen
aller Zeiten – fielen wohl der Franco-Diktatur zum Opfer. Dass die erste
Ministerin auf europäischem Boden seit der Pariser Kommune 1871, mit
Federica Montseny paradoxerweise ausgerechnet eine Anarchistin, oder die
erste gesetzliche Legitimierung der Abtreibung (in Katalonien) spätere
feministische Kämpfe beflügelt haben, ist zwar anzunehmen, lässt sich
aber kaum belegen.
Anders die Erfolge der revolutionären Alphabetisierungskampagnen: Sie
wieder rückgängig zu machen hätte selbst – wie der Hispanist Martin
Baxmeyer betont – die blutigste Diktatur nicht geschafft. Zwar haben es
die frisch Alphabetisierten im Laufe des Bürgerkriegs zu einer
historisch einmaligen Versproduktion gebracht. Um in Film und Fernsehen
repräsentiert zu werden, hat es aber nicht gereicht. Mit solchen Leuten
hatten Typen wie Stiller oder Rick Blaine wohl auch zu wenig Kontakt, um
von ihnen zu erzählen. (Jens Kastner, 9.7.2016)
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie
der bildenden Künste Wien. Er forscht und schreibt. -
derstandard.at/2000040710416/Spanischer-Buergerkrieg-Die-vergessene-Revolution
Spanischer
Bürgerkrieg: Die vergessene Revolution
AnalyseJens Kastner9. Juli 2016, 13:00
116 Postings
Im Juli jährt sich der Beginn des Bürgerkriegs zum 80. Mal. Er gilt als
Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts
Was haben der Stiller von Max Frisch und Rick, Cafébesitzer aus
Casablanca, gemeinsam? Sie gehören zu den viel besprochenen fiktionalen
Figuren, die neben allem anderen auch noch eines waren: sogenannte
Spanienkämpfer.
Bereits mit seinem Beginn im Juli 1936 gehörte der Spanische Bürgerkrieg
zu einem wichtigen und aus der europäischen Geistesgeschichte nicht
mehr wegzudenkenden Gegenstand von Film, Literatur und bildenden
Künsten. Nicht zuletzt den vielen an Kampfhandlungen beteiligten
KünstlerInnen und Intellektuellen ist es zu verdanken, dass Motive des
Bürgerkriegs zu Motivationen künstlerischer Produktion wurden. Von dem
Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman (1942), der im
Dienste der US-amerikanischen Anti-Nazi-Propaganda stand, über die
Identitätsproblematik beim Schweizer Romancier Max Frisch (1954) bis zu
Pablo Picassos "Guernica" (1937) und Hemingways "Wem die Stunde
schlägt": Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den
berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts.
Kein Vergleich dazu: die Soziale Revolution. Sie gehört zu dem, was der
französische Soziologe "vergessen gemachte Geschichte" genannt hat. Als
Reaktion auf den Putsch der rechten Generäle brach in weiten Teilen
Kataloniens und Andalusiens eine libertäre Revolution aus,
landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und kollektiviert,
städtische Fabriken von den ArbeiterInnen übernommen und
gemeinschaftlich geführt. Die schwarz-rote Fahne der
AnarchosyndikalistInnen prägte das Stadtbild von Barcelona. Zum Abschied
grüßte man mit "Saludos" ("Grüße") statt mit "Adios", weil man den
antifaschistischen Kampf auch als einen gegen Gott ("dios") und vor
allem gegen die katholische Kirche begriff.
Sperrzonen des Erinnerns
Auch über solch revolutionären Alltag ist einiges geschrieben worden:
Der Augenzeuge George Orwell befand bekanntlich, dass die Menschen in
den ersten Wochen der Revolution endlich aufgehört hätten, sich wie
Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu benehmen. Und der Poptheoretiker
Greil Marcus wertete mehr als fünfzig Jahre später im Rückblick die
radikalen kulturellen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (wie die
SituationistInnen) oder auch das Aufkommen von Punk als Effekt der
uneingelösten Versprechen von Barcelona 1936. Auch wenn in Songs von
Punk-, Hardcore- oder Pop-Bands wie Crass, The Ex, Sin Dios oder
Chumbawamba die Spanische Revolution seit den späten 1970er-Jahren immer
wieder gefeiert wurde, an die Popularität des Bürgerkrieges im
kollektiven Gedächtnis kommt sie doch nicht annähernd heran. So ergibt
sich für die Erinnerung an die Revolution das Gleiche, was schon für das
Verhältnis von Revolution und Krieg galt: Gegen Letzteren hat Erstere
keine Chance.
Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann bemerken in ihrem Buch über die
Folgen des Spanischen Bürgerkrieges, dass es wegen der starken
Orientierung auf einen demokratischen Konsens im postdiktatorischen
Spanien zu bestimmten "Sperrzonen des Erinnerns" gekommen sei. Als
Beispiel für solche Sperrzonen nennen sie die Schuldfrage oder die Frage
der Monarchie.
Die Revolution ist offenbar dermaßen ab- und aus der Erinnerung
ausgesperrt, dass selbst die beiden Fachhistoriker sie in diesem Kontext
nicht erwähnen. (Den Verlauf der Revolution hingegen würdigen sie
kritisch und ausführlich).
Das kollektive Gedächtnis in Spanien hat sich nach Francos Tod (1975)
hinsichtlich der Jahre 1936-1939 in der Formel der "nationalen Tragödie"
eingerichtet. In dieser Formel aber – der auch Bernecker und Brinkmann
zuzustimmen scheinen – findet die Revolution keinen Platz. Die Rede von
der "nationalen Tragödie" schließt nicht nur Errungenschaften der
Revolution aus, sondern leugnet auch die internationale Dimension der
Ereignisse.
Selbst als im Jahr 2011 die soziale Bewegung der Empörten mit dem
Hashtag #spanishrevolution mobilisierte, war von 1936 nicht die Rede. In
den Verlautbarungen der Demokratiebewegung standen zwar auch
Kapitalismus und Repräsentationspolitiken zur Debatte. Bezugnahmen auf
die libertäre Revolution 75 Jahre zuvor gab es so gut wie gar nicht.
Wenn an revolutionäre Errungenschaften und transnationale Verflechtungen
in Spanien selbst kaum gedacht wird, dann natürlich noch viel weniger
im deutschsprachigen Raum. Angesichts weit folgenreicherer
Interventionen der deutschen Wehrmacht im Anschluss an die Bombardierung
der baskischen Stadt Guernica (1937) durch die "Legion Condor", nahm
der Spanische Bürgerkrieg nie eine wichtige Rolle in der
deutschsprachigen kollektiven Erinnerung ein.
Verlor die nationalsozialistische Beteiligung rückblickend an Gewicht,
kamen die AkteurInnen der Gegenseite kaum dazu, ihre Sicht der Dinge im
kollektiven Gedächtnis zu verankern: Viele deutschsprachige
SpanienkämpferInnen überlebten die nationalsozialistischen
Konzentrationslager nicht. Die überlebenden KommunistInnen wurden in der
DDR zwar gefeiert, auch in Österreich wurden ihre Geschichten dank des
unermüdlichen Engagements einiger ihrer ProtagonistInnen zumindest in
Kreisen von HistorikerInnen und linken AktivistInnen immer wieder
erzählt, im westdeutschen Alltag konnten sich Erfahrungen aus Spanien
mangels ErfahrungsträgerInnen aber nicht etablieren. Etwa 5000
ÖsterreicherInnen und Deutsche hatten in den Internationalen Brigaden
gekämpft, um die 15.000 waren als Teil der "Legion Condor" in Spanien.
Das Wissen über den Bürgerkrieg verblieb in Fachkreisen, selbst
Anspielungen wie die in Casablanca blieben der deutschsprachigen
Öffentlichkeit oft erspart: Der Film war auf Deutsch bis 1975 nur in
einer entpolitisierten, zerstückelten und falsch synchronisierten
Fassung zugänglich: Der Widerstandskämpfer Victor László war bis dahin
der Atomphysiker Victor Larsen, die Figur des Nazi-Majors Strasser hatte
man ganz herausgeschnitten.
Die zentrale Frage
Und was die Revolution betrifft, hatte Walter Haubrich sicher auch 1994
noch recht, als er in der FAZ Abel Paz' große Biografie des Anarchisten
Buenaventura Durruti eine "spannend zu lesende Einführung in einen in
Deutschland vielleicht gar nicht so bekannten Bereich der ideologischen
Diskussion und Geschichte unseres Jahrhunderts" nannte.
Die zentrale Frage, warum die Revolution keinen festen Platz im
kollektiven Gedächtnis hat und bestenfalls in subkulturellen Formen
existiert, ist nicht schwer zu beantworten.
Bernecker und Brinkmann stellen fest, dass der Wunsch, eine Neuauflage
der Konflikte der 1930er-Jahre zu verhindern, in Spanien "beinahe zur
Obsession" wurde. Ein Gedenken, das an Ereignisse jenseits des
parlamentarisch-demokratischen Konsenses gemahnte, musste dieser
Obsession widersprechen. Genau dafür steht aber die von den
AnarchistInnen getragene Revolution. Schon den AnarchistInnen von 1936,
obwohl sie mit der CNT die damals mitgliederstärkste Gewerkschaft der
Welt stellten, waren international isoliert.
Diese Isolierung setzt sich in der Marginalisierung anarchistischer
Positionen heute fort. Wie die damaligen Errungenschaften müssen aber
auch die Erinnerungen verteidigt werden. Das kollektive Gedächtnis ist
ja kein statisches Gebilde, sondern stets in Bewegung und vor allem
permanent umkämpft. Zur Durchsetzung oder auch nur zur Verteidigung von
Erinnerung braucht es Subjekte, die für bestimmte Inhalte eintreten und
gesellschaftliche Bündnisse, die sie mittragen. Eine wirkmächtige
soziale Bewegung, die das Gedenken an die Spanische Revolution gegenüber
jenem an den Bürgerkrieg starkmachen könnte, existiert nicht.
Der Anarchismus in Deutschland und Österreich hat als Massenbewegung den
Nationalsozialismus nicht überlebt. Die libertären Bewegungen der
Nachkriegszeit waren im deutschsprachigen Raum marginalisiert, nicht nur
was ihren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis betrifft. (Umso
wichtiger werden die in Sub-, Nischen oder Avantgardekulturen gelegten
Spuren, auch wenn sie nach Greil Marcus so wenig beständig sind wie
"lipstick traces on a cigarette ...") Libertäre Gedanken erlangten erst
im Kontext der Revolte von 1968 wieder größere Bedeutung.
Dieser Bedeutungsgewinn allerdings ging gerade einher mit der
allgemeinen Abkehr der Neuen Linken von einem Revolutionsmodell, das
IndustriearbeiterIn und Bauer/Bäuerin als Subjekte favorisierte. Genau
diese aber hatten Anarchismus und Revolution in Spanien geprägt und
getragen. Die Erinnerung an die Spanische Revolution fand also auch in
den revoltierenden StudentInnen und ArbeiterInnen der 1960er-Jahre keine
ProtagonistInnen.
Und die SpanienkämpferInnen selber? In der DDR galten sie als
Helden/Heldinnen und waren für die antifaschistische Staatsdoktrin
bedeutsam, wichtige Mitglieder des Politbüros (wie etwa Erich Mielke)
waren Spanienkämpfer. Das für sie errichtete Denkmal in
Berlin-Friedrichshain (von Fritz Cremer, 1966/68) verschafft wohl kaum
mehr den Schatten eines Eindrucks davon. Anders als in Westdeutschland
ist auch in Österreich ihr Schicksal bestens dokumentiert und im
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) öffentlich
zugänglich. Geprägt von kommunistischen InterbrigadistInnen, blieb das
Bild des Bürgerkrieges aber sowohl in der DDR als auch in Österreich
frei von Erinnerungen an die Revolution. Denn die Internationalen
Brigaden formierten sich erst ab Ende 1936, als die Revolution bereits
zurückgedrängt wurde, und sie waren stark kommunistisch geprägt.
Das (Ver)Schweigen brechen
Die KommunistInnen, nicht zu vergessen, verfolgten im Spanischen
Bürgerkrieg ausdrücklich antirevolutionäre Ziele. Der surrealistische
Dichter Benjamin Péret, der zeitweise in anarchistischen Milizen
kämpfte, kritisierte die im Laufe der ersten Kriegsmonate dominanter
werdenden KommunistInnen schon früh und warnte vor den Stalintreuen.
Im Mai 1937 schossen in Barcelona dann KommunistInnen auf
AnarchistInnen, mittem im antifaschistischen Kampf gegen die
Franco-Truppen. Einem deutschsprachigen Publikum, dem in Zeiten des
Kalten Krieges kaum die historische Tatsache des Bürgerkriegs zugemutet
wurde, auch noch den linken "Genossenmord" zu erklären, erscheint
undenkbar.
Verschwiegen wurde also nicht nur die Revolution, sondern auch die
mörderische Politik der stalinistischen KommunistInnen, der u. a. viele
AnarchistInnen zum Opfer fielen. Um das (Ver-)Schweigen zu brechen,
fehlte es eben an sozialen Kräften, die daran ein Interesse hätten haben
können – auch innerhalb der radikalen Linken.
Als Beitrag im Kampf um die Erinnerung kann diesbezüglich auch das
Vorwort gelten, das der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1986 für
das Buch des Spanienkämpfers Fritz Teppich verfasst hatte (und das 1996
unverändert wiederaufgelegt wurde). Hinsichtlich der Kritik am
kommunistischen Vorgehen im revolutionären Spanien meint Gremliza, sie
zielte darauf, "eine real mögliche Befreiung von jener
Mehrwertegemeinschaft zu verhindern, in deren Dienst der s. g.
freiheitliche, demokratische oder libertäre Sozialismus steht." Es
genügt freilich ein Blick auf die historischen Quellen, um zu belegen,
dass gerade nicht der libertäre Sozialismus, sondern die Politik der
KommunistInnen explizit antirevolutionär war. Dass kommunistische
Propagandalügen wie diese vom Herausgeber der größten linken
Monatszeitung in Deutschland verbreitet werden, macht nur ein weiteres
Mal die Defensive deutlich, in der anarchistische Geschichtsschreibung
sich befindet.
Aufgabe für die Forschung
Das kollektive Gedächtnis kommt nicht allein in Filmen oder Büchern zum
Ausdruck, sondern auch im Alltag. Im Gegensatz zu jenen lässt sich
dieser aber weder nach BesucherInnenzahlen oder Auflagenstärke abfragen
und so wie Hans-Magnus Enzensbergers Buch Der kurze Sommer der Anarchie
(1972) oder der Film Land and Freedom (1995) von Ken Loach als
vergleichsweise libertäre Erfolge verbuchen. Danach zu suchen wäre
demnach eine Aufgabe für die Kultur- und Sozialforschung, die auch an
emanzipatorischen politischen Alternativen interessiert ist. Denn
letztlich, schrieb schon Maurice Halbwachs 1925 in Das Gedächtnis und
seine sozialen Bedingungen, gibt es "keine soziale Idee, die nicht
zugleich eine Erinnerung der Gesellschaft wäre."
Die meisten der von der Historikerin Vera Bianchi beschriebenen,
alltäglichen Errungenschaften der Mujeres Libres – mit rund 20.000
Mitgliedern sicherlich eine der größten feministischen Organisationen
aller Zeiten – fielen wohl der Franco-Diktatur zum Opfer. Dass die erste
Ministerin auf europäischem Boden seit der Pariser Kommune 1871, mit
Federica Montseny paradoxerweise ausgerechnet eine Anarchistin, oder die
erste gesetzliche Legitimierung der Abtreibung (in Katalonien) spätere
feministische Kämpfe beflügelt haben, ist zwar anzunehmen, lässt sich
aber kaum belegen.
Anders die Erfolge der revolutionären Alphabetisierungskampagnen: Sie
wieder rückgängig zu machen hätte selbst – wie der Hispanist Martin
Baxmeyer betont – die blutigste Diktatur nicht geschafft. Zwar haben es
die frisch Alphabetisierten im Laufe des Bürgerkriegs zu einer
historisch einmaligen Versproduktion gebracht. Um in Film und Fernsehen
repräsentiert zu werden, hat es aber nicht gereicht. Mit solchen Leuten
hatten Typen wie Stiller oder Rick Blaine wohl auch zu wenig Kontakt, um
von ihnen zu erzählen. (Jens Kastner, 9.7.2016)
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie
der bildenden Künste Wien. Er forscht und schreibt. -
derstandard.at/2000040710416/Spanischer-Buergerkrieg-Die-vergessene-Revolution Spanischer
Bürgerkrieg: Die vergessene Revolution
AnalyseJens Kastner9. Juli 2016, 13:00
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Im Juli jährt sich der Beginn des Bürgerkriegs zum 80. Mal. Er gilt als
Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts
Was haben der Stiller von Max Frisch und Rick, Cafébesitzer aus
Casablanca, gemeinsam? Sie gehören zu den viel besprochenen fiktionalen
Figuren, die neben allem anderen auch noch eines waren: sogenannte
Spanienkämpfer.
Bereits mit seinem Beginn im Juli 1936 gehörte der Spanische Bürgerkrieg
zu einem wichtigen und aus der europäischen Geistesgeschichte nicht
mehr wegzudenkenden Gegenstand von Film, Literatur und bildenden
Künsten. Nicht zuletzt den vielen an Kampfhandlungen beteiligten
KünstlerInnen und Intellektuellen ist es zu verdanken, dass Motive des
Bürgerkriegs zu Motivationen künstlerischer Produktion wurden. Von dem
Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman (1942), der im
Dienste der US-amerikanischen Anti-Nazi-Propaganda stand, über die
Identitätsproblematik beim Schweizer Romancier Max Frisch (1954) bis zu
Pablo Picassos "Guernica" (1937) und Hemingways "Wem die Stunde
schlägt": Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den
berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts.
Kein Vergleich dazu: die Soziale Revolution. Sie gehört zu dem, was der
französische Soziologe "vergessen gemachte Geschichte" genannt hat. Als
Reaktion auf den Putsch der rechten Generäle brach in weiten Teilen
Kataloniens und Andalusiens eine libertäre Revolution aus,
landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und kollektiviert,
städtische Fabriken von den ArbeiterInnen übernommen und
gemeinschaftlich geführt. Die schwarz-rote Fahne der
AnarchosyndikalistInnen prägte das Stadtbild von Barcelona. Zum Abschied
grüßte man mit "Saludos" ("Grüße") statt mit "Adios", weil man den
antifaschistischen Kampf auch als einen gegen Gott ("dios") und vor
allem gegen die katholische Kirche begriff.
Sperrzonen des Erinnerns
Auch über solch revolutionären Alltag ist einiges geschrieben worden:
Der Augenzeuge George Orwell befand bekanntlich, dass die Menschen in
den ersten Wochen der Revolution endlich aufgehört hätten, sich wie
Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu benehmen. Und der Poptheoretiker
Greil Marcus wertete mehr als fünfzig Jahre später im Rückblick die
radikalen kulturellen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (wie die
SituationistInnen) oder auch das Aufkommen von Punk als Effekt der
uneingelösten Versprechen von Barcelona 1936. Auch wenn in Songs von
Punk-, Hardcore- oder Pop-Bands wie Crass, The Ex, Sin Dios oder
Chumbawamba die Spanische Revolution seit den späten 1970er-Jahren immer
wieder gefeiert wurde, an die Popularität des Bürgerkrieges im
kollektiven Gedächtnis kommt sie doch nicht annähernd heran. So ergibt
sich für die Erinnerung an die Revolution das Gleiche, was schon für das
Verhältnis von Revolution und Krieg galt: Gegen Letzteren hat Erstere
keine Chance.
Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann bemerken in ihrem Buch über die
Folgen des Spanischen Bürgerkrieges, dass es wegen der starken
Orientierung auf einen demokratischen Konsens im postdiktatorischen
Spanien zu bestimmten "Sperrzonen des Erinnerns" gekommen sei. Als
Beispiel für solche Sperrzonen nennen sie die Schuldfrage oder die Frage
der Monarchie.
Die Revolution ist offenbar dermaßen ab- und aus der Erinnerung
ausgesperrt, dass selbst die beiden Fachhistoriker sie in diesem Kontext
nicht erwähnen. (Den Verlauf der Revolution hingegen würdigen sie
kritisch und ausführlich).
Das kollektive Gedächtnis in Spanien hat sich nach Francos Tod (1975)
hinsichtlich der Jahre 1936-1939 in der Formel der "nationalen Tragödie"
eingerichtet. In dieser Formel aber – der auch Bernecker und Brinkmann
zuzustimmen scheinen – findet die Revolution keinen Platz. Die Rede von
der "nationalen Tragödie" schließt nicht nur Errungenschaften der
Revolution aus, sondern leugnet auch die internationale Dimension der
Ereignisse.
Selbst als im Jahr 2011 die soziale Bewegung der Empörten mit dem
Hashtag #spanishrevolution mobilisierte, war von 1936 nicht die Rede. In
den Verlautbarungen der Demokratiebewegung standen zwar auch
Kapitalismus und Repräsentationspolitiken zur Debatte. Bezugnahmen auf
die libertäre Revolution 75 Jahre zuvor gab es so gut wie gar nicht.
Wenn an revolutionäre Errungenschaften und transnationale Verflechtungen
in Spanien selbst kaum gedacht wird, dann natürlich noch viel weniger
im deutschsprachigen Raum. Angesichts weit folgenreicherer
Interventionen der deutschen Wehrmacht im Anschluss an die Bombardierung
der baskischen Stadt Guernica (1937) durch die "Legion Condor", nahm
der Spanische Bürgerkrieg nie eine wichtige Rolle in der
deutschsprachigen kollektiven Erinnerung ein.
Verlor die nationalsozialistische Beteiligung rückblickend an Gewicht,
kamen die AkteurInnen der Gegenseite kaum dazu, ihre Sicht der Dinge im
kollektiven Gedächtnis zu verankern: Viele deutschsprachige
SpanienkämpferInnen überlebten die nationalsozialistischen
Konzentrationslager nicht. Die überlebenden KommunistInnen wurden in der
DDR zwar gefeiert, auch in Österreich wurden ihre Geschichten dank des
unermüdlichen Engagements einiger ihrer ProtagonistInnen zumindest in
Kreisen von HistorikerInnen und linken AktivistInnen immer wieder
erzählt, im westdeutschen Alltag konnten sich Erfahrungen aus Spanien
mangels ErfahrungsträgerInnen aber nicht etablieren. Etwa 5000
ÖsterreicherInnen und Deutsche hatten in den Internationalen Brigaden
gekämpft, um die 15.000 waren als Teil der "Legion Condor" in Spanien.
Das Wissen über den Bürgerkrieg verblieb in Fachkreisen, selbst
Anspielungen wie die in Casablanca blieben der deutschsprachigen
Öffentlichkeit oft erspart: Der Film war auf Deutsch bis 1975 nur in
einer entpolitisierten, zerstückelten und falsch synchronisierten
Fassung zugänglich: Der Widerstandskämpfer Victor László war bis dahin
der Atomphysiker Victor Larsen, die Figur des Nazi-Majors Strasser hatte
man ganz herausgeschnitten.
Die zentrale Frage
Und was die Revolution betrifft, hatte Walter Haubrich sicher auch 1994
noch recht, als er in der FAZ Abel Paz' große Biografie des Anarchisten
Buenaventura Durruti eine "spannend zu lesende Einführung in einen in
Deutschland vielleicht gar nicht so bekannten Bereich der ideologischen
Diskussion und Geschichte unseres Jahrhunderts" nannte.
Die zentrale Frage, warum die Revolution keinen festen Platz im
kollektiven Gedächtnis hat und bestenfalls in subkulturellen Formen
existiert, ist nicht schwer zu beantworten.
Bernecker und Brinkmann stellen fest, dass der Wunsch, eine Neuauflage
der Konflikte der 1930er-Jahre zu verhindern, in Spanien "beinahe zur
Obsession" wurde. Ein Gedenken, das an Ereignisse jenseits des
parlamentarisch-demokratischen Konsenses gemahnte, musste dieser
Obsession widersprechen. Genau dafür steht aber die von den
AnarchistInnen getragene Revolution. Schon den AnarchistInnen von 1936,
obwohl sie mit der CNT die damals mitgliederstärkste Gewerkschaft der
Welt stellten, waren international isoliert.
Diese Isolierung setzt sich in der Marginalisierung anarchistischer
Positionen heute fort. Wie die damaligen Errungenschaften müssen aber
auch die Erinnerungen verteidigt werden. Das kollektive Gedächtnis ist
ja kein statisches Gebilde, sondern stets in Bewegung und vor allem
permanent umkämpft. Zur Durchsetzung oder auch nur zur Verteidigung von
Erinnerung braucht es Subjekte, die für bestimmte Inhalte eintreten und
gesellschaftliche Bündnisse, die sie mittragen. Eine wirkmächtige
soziale Bewegung, die das Gedenken an die Spanische Revolution gegenüber
jenem an den Bürgerkrieg starkmachen könnte, existiert nicht.
Der Anarchismus in Deutschland und Österreich hat als Massenbewegung den
Nationalsozialismus nicht überlebt. Die libertären Bewegungen der
Nachkriegszeit waren im deutschsprachigen Raum marginalisiert, nicht nur
was ihren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis betrifft. (Umso
wichtiger werden die in Sub-, Nischen oder Avantgardekulturen gelegten
Spuren, auch wenn sie nach Greil Marcus so wenig beständig sind wie
"lipstick traces on a cigarette ...") Libertäre Gedanken erlangten erst
im Kontext der Revolte von 1968 wieder größere Bedeutung.
Dieser Bedeutungsgewinn allerdings ging gerade einher mit der
allgemeinen Abkehr der Neuen Linken von einem Revolutionsmodell, das
IndustriearbeiterIn und Bauer/Bäuerin als Subjekte favorisierte. Genau
diese aber hatten Anarchismus und Revolution in Spanien geprägt und
getragen. Die Erinnerung an die Spanische Revolution fand also auch in
den revoltierenden StudentInnen und ArbeiterInnen der 1960er-Jahre keine
ProtagonistInnen.
Und die SpanienkämpferInnen selber? In der DDR galten sie als
Helden/Heldinnen und waren für die antifaschistische Staatsdoktrin
bedeutsam, wichtige Mitglieder des Politbüros (wie etwa Erich Mielke)
waren Spanienkämpfer. Das für sie errichtete Denkmal in
Berlin-Friedrichshain (von Fritz Cremer, 1966/68) verschafft wohl kaum
mehr den Schatten eines Eindrucks davon. Anders als in Westdeutschland
ist auch in Österreich ihr Schicksal bestens dokumentiert und im
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) öffentlich
zugänglich. Geprägt von kommunistischen InterbrigadistInnen, blieb das
Bild des Bürgerkrieges aber sowohl in der DDR als auch in Österreich
frei von Erinnerungen an die Revolution. Denn die Internationalen
Brigaden formierten sich erst ab Ende 1936, als die Revolution bereits
zurückgedrängt wurde, und sie waren stark kommunistisch geprägt.
Das (Ver)Schweigen brechen
Die KommunistInnen, nicht zu vergessen, verfolgten im Spanischen
Bürgerkrieg ausdrücklich antirevolutionäre Ziele. Der surrealistische
Dichter Benjamin Péret, der zeitweise in anarchistischen Milizen
kämpfte, kritisierte die im Laufe der ersten Kriegsmonate dominanter
werdenden KommunistInnen schon früh und warnte vor den Stalintreuen.
Im Mai 1937 schossen in Barcelona dann KommunistInnen auf
AnarchistInnen, mittem im antifaschistischen Kampf gegen die
Franco-Truppen. Einem deutschsprachigen Publikum, dem in Zeiten des
Kalten Krieges kaum die historische Tatsache des Bürgerkriegs zugemutet
wurde, auch noch den linken "Genossenmord" zu erklären, erscheint
undenkbar.
Verschwiegen wurde also nicht nur die Revolution, sondern auch die
mörderische Politik der stalinistischen KommunistInnen, der u. a. viele
AnarchistInnen zum Opfer fielen. Um das (Ver-)Schweigen zu brechen,
fehlte es eben an sozialen Kräften, die daran ein Interesse hätten haben
können – auch innerhalb der radikalen Linken.
Als Beitrag im Kampf um die Erinnerung kann diesbezüglich auch das
Vorwort gelten, das der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1986 für
das Buch des Spanienkämpfers Fritz Teppich verfasst hatte (und das 1996
unverändert wiederaufgelegt wurde). Hinsichtlich der Kritik am
kommunistischen Vorgehen im revolutionären Spanien meint Gremliza, sie
zielte darauf, "eine real mögliche Befreiung von jener
Mehrwertegemeinschaft zu verhindern, in deren Dienst der s. g.
freiheitliche, demokratische oder libertäre Sozialismus steht." Es
genügt freilich ein Blick auf die historischen Quellen, um zu belegen,
dass gerade nicht der libertäre Sozialismus, sondern die Politik der
KommunistInnen explizit antirevolutionär war. Dass kommunistische
Propagandalügen wie diese vom Herausgeber der größten linken
Monatszeitung in Deutschland verbreitet werden, macht nur ein weiteres
Mal die Defensive deutlich, in der anarchistische Geschichtsschreibung
sich befindet.
Aufgabe für die Forschung
Das kollektive Gedächtnis kommt nicht allein in Filmen oder Büchern zum
Ausdruck, sondern auch im Alltag. Im Gegensatz zu jenen lässt sich
dieser aber weder nach BesucherInnenzahlen oder Auflagenstärke abfragen
und so wie Hans-Magnus Enzensbergers Buch Der kurze Sommer der Anarchie
(1972) oder der Film Land and Freedom (1995) von Ken Loach als
vergleichsweise libertäre Erfolge verbuchen. Danach zu suchen wäre
demnach eine Aufgabe für die Kultur- und Sozialforschung, die auch an
emanzipatorischen politischen Alternativen interessiert ist. Denn
letztlich, schrieb schon Maurice Halbwachs 1925 in Das Gedächtnis und
seine sozialen Bedingungen, gibt es "keine soziale Idee, die nicht
zugleich eine Erinnerung der Gesellschaft wäre."
Die meisten der von der Historikerin Vera Bianchi beschriebenen,
alltäglichen Errungenschaften der Mujeres Libres – mit rund 20.000
Mitgliedern sicherlich eine der größten feministischen Organisationen
aller Zeiten – fielen wohl der Franco-Diktatur zum Opfer. Dass die erste
Ministerin auf europäischem Boden seit der Pariser Kommune 1871, mit
Federica Montseny paradoxerweise ausgerechnet eine Anarchistin, oder die
erste gesetzliche Legitimierung der Abtreibung (in Katalonien) spätere
feministische Kämpfe beflügelt haben, ist zwar anzunehmen, lässt sich
aber kaum belegen.
Anders die Erfolge der revolutionären Alphabetisierungskampagnen: Sie
wieder rückgängig zu machen hätte selbst – wie der Hispanist Martin
Baxmeyer betont – die blutigste Diktatur nicht geschafft. Zwar haben es
die frisch Alphabetisierten im Laufe des Bürgerkriegs zu einer
historisch einmaligen Versproduktion gebracht. Um in Film und Fernsehen
repräsentiert zu werden, hat es aber nicht gereicht. Mit solchen Leuten
hatten Typen wie Stiller oder Rick Blaine wohl auch zu wenig Kontakt, um
von ihnen zu erzählen. (Jens Kastner, 9.7.2016)
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie
der bildenden Künste Wien. Er forscht und schreibt. -
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